Klären, was wir wirklich wollen …

Extra / 06.11.2014 • 19:18 Uhr

… und brauchen für eine positive und zukunftsfähige Wirtschafts- und Gesellschaftsentwicklung. In Zeiten der Krisen, Kriege, Sanktionen, politischen Fehlentscheidungen und Überbelastung der Leistungsträger, kann gar „nichts bleiben, wie es war“. Für eine gesunde Realwirtschaft und das Wohl der Gesellschaft brauchen wir Entlastung, Bürokratieabbau, Fairness, Beziehungsfähigkeit und laut dem Referenten Andreas Salcher als Berater von Vizekanzler Mitterlehner in Bildungsfragen eine Bildungsoffensive, die für Chancengleichheit und Talentförderung steht. Und wir brauchen vor allem „Kooperation statt Aggression“, wie der Neurobiologe Joachim Bauer im Rahmen des 31. Vorarlberger Wirtschaftsforums erläuterte.

Das evolutionäre Erfolgsticket („social brain“) des Menschen ist nicht der egoistische Kampf „aller gegen alle“, sondern die Fähigkeit des Menschen zu überragender Kooperation. Der Mensch ist seinem innersten Wesen nach sozial, und das Ziel der Motivationssysteme seien Gemeinschaft und gelingende Beziehungen. „Kern aller Motivation ist es, Anerkennung, Wertschätzung, Zuwendung und Zuneigung zu finden und zu geben“, so der Hirnforscher. Aggression hingegen sei kein Trieb, sondern nur reaktives Verhalten: „Wer einem Lebewesen Schmerz zufügt, wird Aggression ernten. Als Schutzmechanismus vor unfairer Behandlung, Demütigung, Ausgrenzung, Missachtung.“ Der Druck in Unternehmen auf Profitmaximierung und Kostenreduktion steigt ins Unerträgliche: höher, schneller, weiter – aber wohin? In der Wirtschaft herrschen Instabilität, Umstrukturierungen, Unruhe, ständiger Personalwechsel – ein „weltweit destruktiver Prozess, der natürliche, menschliche und wirtschaftliche Ressourcen vernichtet“, sagt Bauer und rät: „Fühlen, was andere fühlen. Vorbild sein.“

Der deutsche Philosoph Richard David Precht warnt vor Konzernen wie Google, die den Menschen von der „Diktatur der Freiheit“ befreien wollen. Welchen Fortschritt wollen und brauchen wir? Eingebaute Kontaktlinsen, die uns digital mit der Welt verbinden, seien Antworten auf nicht gestellte Fragen. Wir fragen: Wie lösen wir das Welthungerproblem und wie verhindern wir Kriege? Daran wird offensichtlich nicht gearbeitet. In Prechts ZDF-Philosophiegespräch analysierte der Blogger Sascha Lobo: „Der gegenwärtige Weg des digitalen Fortschritts führt in die Dumping-Hölle.“ Wenige Leute füttern Computer, die den Menschenmassen sagen, was sie zu tun haben. Menschen werden überflüssig – Dienstleistungsberufe brechen weg. Precht ortet eine gigantische Massenarbeitslosigkeit in Europa: „Der Begriff von Arbeit muss neu definiert, ein Grundeinkommen eingeführt werden.“ Das Zusammenbrechen der Binnenmärkte könne nicht im Sinne der Wirtschaft sein.

Wenn wir uns an computergesteuerte Maschinen outsourcen, verlieren wir die Balance für uns selbst. Unsere über Jahrtausende im Einklang mit der Natur entwickelten Selbststeuerungs- und Selbstbeobachtungssysteme geben wir ab an Smartphone & Co., machen uns abhängig und unfrei. Von der „globalen Verdummung“ schrieb der Bludenzer Schriftsteller Alois Reutterer schon vor Jahren. Zum shopping-süchtigen Konsumenten verkümmert, ist der Mensch längst gefangen im inzwischen pathologischen kollektiven Egoismus.

Was also tun? Verantwortungsvoll mit dem unumkehrbaren technischen Fortschritt umgehen und sinnvoll Gebrauch davon machen. Allerdings muss Selbstachtsamkeit unseren Kindern früh antrainiert werden, um sie vor Aufmerksamkeitsraub durch ständige Reizüberflutung zu schützen, sagt Precht. Im September sprach er in Wien vor 1000 Interessierten aus der Jungen Wirtschaft. WKO-Präsident Christoph Leitl lobte dort den Gründergeist und das Innovationspotenzial der Jugend. Unsere Zukunft müsse in den Händen von freien, unabhängigen, verantwortungsbewussten und mutigen Jungunternehmern liegen, die er ermutigte, für notwendige Strukturreformen einzutreten und Druck auf die „visionslose, lediglich taktierende“ Politik aufzubauen, wie sie Precht zuvor bezeichnet hatte.

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