Verstand als Kapital nutzen

Extra / 06.11.2014 • 19:05 Uhr
Joachim Bauer weiß, was die Menschen wollen, nämlich Zugehörigkeit und Gemeinschaft.
Joachim Bauer weiß, was die Menschen wollen, nämlich Zugehörigkeit und Gemeinschaft.

Nur auf diese Weise kann der Globus wieder menschengerechter gestaltet werden.

bregenz. Der Mensch ist eigentlich ein friedliches Wesen. Ausgerichtet auf Zusammenhalt und Kooperation. So wäre es von seiner evolutionären Ausstattung her zumindest vorgesehen. Doch die Entwicklung hat alles auf den Kopf gestellt. Die Ressourcenknappheit ließ ihn zum Kämpfer ums Überleben werden. „Tagtäglich sind wir im privaten, nationalen und internationalen Bereich mit Konfliktquellen konfrontiert, die zu Aggression führen“, erklärt Joachim Bauer, Mediziner, Psychiater und Hirnforscher, warum die Welt nicht mehr so ist, wie sie sein sollte. Will sich der Mensch im Streit um Ressourcen als Spezies aber nicht selbst auslöschen, was der Experte für durchaus möglich hält, braucht es neue Lösungen. Die wichtigsten Voraussetzungen, die uns zukunftsfähig machen, sind laut Bauer demnach Vernunft sowie die Fähigkeit zu Ausgleich und Kompromissen. 

Ein Art Wendepunkt

Dass die Welt früher eine heile war, daran glaubt Joachim Bauer nicht. „Obwohl es immer irgendwelche Theoretiker gibt, die das behaupten“, merkt er an. Vieles spricht aus seiner Sicht aber dafür, dass der Prozess der Sesshaftigkeit vor 12.000 Jahren eine Art von Wendepunkt war. „Ackerbau, Viehzucht, Handwerk, Industrie: Plötzlich wurde die Arbeit relevant. Die Menschen mussten sich gehörig anstrengen. Sie durften nicht mehr einfach nur da sein, wurden nicht mehr akzeptiert, wie sie waren. Sie mussten sich anstrengen, wurden gemessen an dem, was sie leisteten“, beschreibt der Experte eine Entwicklung mit unguten Folgen. Natürlich will auch er nicht mehr zurück aus dem, was sich Zivilisation nennt. „Aber wir dürfen den Bogen nicht überspannen. Wenn wir das tun, werden immer mehr Menschen krank durch Arbeit und Stress“, warnt Joachim Bauer. Doch wie umgehen mit diesem massiven Mehr an Konfliktpotenzial? Seine klare Antwort darauf: „Wir brauchen eine realistische Sicht darauf, keine Schönbeterei. Und wir benötigen Verstand.“ Wobei er nicht vergisst darauf hinzuweisen, dass es der Mensch ist, der die größte Ratio besitzt. „Sie ist unser Kapital“, betont Bauer. Der Verstand erlaube es dem Menschen, eine Balance zwischen Anforderungen und Bedürfnissen zu schaffen. „Wir müssen Ja sagen zu den Anstrengungen, die uns der Globus in der heutigen Zeit abverlangt, jedoch mit Maß und Ziel“, lautet die Botschaft.

Gutes Miteinander

In mittelständischen Unternehmen, dort, wo die Führung ihre Mitarbeiter noch kennt, laufen die Dinge seinen Erfahrungen zufolge oft recht gut, sei sehr viel Gutes miteinander möglich, auch der notwendige Ausgleich zwischen den Anforderungen und den menschlichen Belastungsgrenzen. Anders die Situation in riesigen börsennotierten Unternehmen, in denen bestimmte Gewinne als Sollwert gesetzt werden, den Vorstand und Beschäftigte auf Gedeih und Verderb zu erfüllen haben. Hier müssten starke Arbeitnehmervertretungen mit vernünftiger Gewerkschaftspolitik einschreiten, so Joachim Bauer. Er redet nicht dem Klassenkampf das Wort, sondern der Gemeinsamkeit. Und er wagt zu behaupten, dass „wir mitten in einem Prozess stehen, in dem viele sagen, so können wir nicht weitermachen“. Ein Hauch von Hoffnung schwingt mit.

Tagtäglich sind wir mit verschiedenen Konfliktquellen konfrontiert, die zu Aggressionen führen.

Joachim Bauer

Zur Person

Prof. Dr. Joachim Bauer

Geboren: 21. Oktober 1951 in Tübingen

Wohnort: Freiburg

Laufbahn: Molekularbiologe, Neurobiologe, Internist, Psychiater, Universitätsprofessor, Sachbuchautor