„Wir wollen Muskelwachstum, kein Fettwachstum“

Extra / 05.09.2017 • 08:20 Uhr
„Wir wollen Muskelwachstum, kein Fettwachstum“

Hans Peter Metzler, Präsident der Wirtschaftskammer Vorarlberg, hat das Amt im November angetreten, um Dinge nicht als gottgegeben anzusehen und zu verwalten, sondern zu ändern, wenn das notwendig ist. Im Interview spricht er über die brennenden Themen, die die Unternehmer des Landes beschäftigen, und wieso genau jetzt der richtige Zeitpunkt für Veränderungen ist.

Gratulation zum Wirtschaftswachstumspreis, Herr Metzler. Was zeichnet das Unternehmertum in Vorarlberg besonders aus?

Metzler Danke. Der Sieg ist aber allen Unternehmen und ihren Beschäftigten zu verdanken. Wir haben eben sehr viele fleißige, geschickte Leute im Land. Es ist ein Beweis, dass die Wirtschaft in Vorarlberg dynamisch unterwegs ist. Das „Werkel“ läuft. Ein großer Teil ist natürlich der Export­wirtschaft geschuldet. Wir kratzen an der zehn-Milliarden-Euro-Grenze. Das ist hervorragend. Dazu profitieren wir von der breiten Struktur im Land. In allen Regionen gibt es tolle Industrie-, Handwerks-, Tourismus- und Dienstleistungsbetriebe. Wir haben „hidden champions“ in allen Branchen, genauso wie große Flaggschiffe, die zum Standort stehen. Wir sind insgesamt also nicht monomäßig unterwegs. Die Wirtschaft hat eine unglaublich ausgewogene Struktur. Wir sind ein Körper mit Rückgrat (Industrie), Füßen (Verkehr), Händen (Handwerk) und nur lebensfähig, wenn wir uns als Ganzes verstehen.

Immer mehr Projekte stoßen derzeit auf Widerstand. Wie sehen Sie das Verständnis der Gesellschaft für die Wirtschaft?

Metzler Dass eine gut funktionierende Wirtschaft die Basis für den Wohlstand im Land ist, das ist der großen Mehrheit bewusst. Ich sehe keine per se negative Stimmung gegen die Wirtschaft. Das poppt nur bei gewissen Projekten auf. Wie ein Abwehrreflex heißt es dann, Projekt ja, aber bitte nicht bei uns.

Wie kann man diesen Tendenzen Ihrer Meinung nach entsprechend entgegenwirken?

Metzler Indem man die Menschen von vornherein miteinbezieht und aufklärt. Man kann aber auch nicht immer nur dagegen sein. Schließlich leben wir in einem System, das auf Wachstum ausgerichtet ist. Hätten wir das nicht, bekämen wir es mit steigender Arbeitslosigkeit, weniger Steueraufkommen etc. zu tun. Ein moderates Wachstum ist also schon wichtig. Aber hier spreche ich von Muskelwachstum, nicht von Fettwachstum.

Erklären Sie uns den Unterschied?

Metzler Muskelwachstum bedeutet, dass man durch Innovationskraft, durch gute Produkte und Dienstleistungen wächst. Es geht nicht ausschließlich darum, noch mehr Umsatz zu erzielen. Da ist Vorarlberg im Vergleich zu anderen auf einem guten Pfad. Denn Fettwachstum holt einen irgendwann ein.

Wie läuft das heurige Jahr 2017 bislang für die heimische Wirtschaft?

Metzler Es läuft gut, was wir so hören. Der Wachstumspfad ist also stabil. Aber es ist nicht nachhaltig abgesichert, denn es bleibt volatil. Unsicherheitsfaktoren wie der Brexit beschäftigen uns. Da muss man aufpassen. Darum sage ich auch: Jetzt erst recht! Bei den Themen Bildung, Fachkräfte und Digitalisierung müssen wir nun Vollgas geben und neue Wege gehen. Genauso macht die Bürokratie viele Unternehmen müde.

Wie zufrieden sind Sie derzeit mit den Rahmenbedingungen für die Unternehmen im Land?

Metzler Bei dem, was im Land möglich ist, tut sich einiges. Wir haben da im Vergleich zu anderen Bundesländern einen super Zugang und kurze Wege. Aber der neuen Bundesregierung werden wir ein sehr deutliches Forderungspapier schicken. Denn es braucht auf Bundesebene dringend Signale und Rückenwind für die Wirtschaft. Das hat auch mit Psychologie zu tun. Oft nimmt man uns eher die Freude, als dass man uns eine macht. Wir sind also gefordert, den Druck aufrechtzuerhalten. Der Schwerpunkt muss auf der Wirtschafts- und Standortpolitik liegen, auf Bereichen wie Bildung und Fachkräfte oder Bürokratie. Auch müssen es wir früher sehen, wenn eine Regelung aus der EU kommt, damit wir reagieren können.

Die Wirtschaftskammer erarbeitet gerade eine Digitalstrategie für Vorarlberg. Was sind die Inhalte?

Metzler Bis Ende des Jahres soll die digitale Agenda stehen. Wir stehen aktuell in Kontakt mit vielen spannenden Ebenen, zum Beispiel mit der ETH Zürich. Genauso waren wir bei IBM Watson, dem Forschungszentrum für das Internet der Dinge in München. Wir brauchen Partnerschaften, die befruchten. Dadurch, dass wir keinen Universitätsstandort im Land haben, müssen wir uns diese Welten eben von außen ins Land holen. Mit Ende des Jahres können wir bereits einiges präsentieren. Es bleibt also nicht bei reinen Worthülsen. Die Postgarage in Dornbirn auf dem Campus-Areal ist zum Beispiel ein tolles Projekt. Diese soll für innovative Start-up-Unternehmen umgebaut werden. Insgesamt muss man sagen, die Unternehmen wissen schon, was in Sachen Digitalisierung zu tun ist, aber wir können da unterstützen. Unsere klare Vision dabei ist, wir wollen eine Kultur entwickeln, die die Umsetzung digitaler Innovationen am Standort Vorarlberg nicht nur zulässt, sondern gezielt fördert.

„Ich sehe keine per se negative Stimmung gegen die Wirtschaft. Das poppt nur bei gewissen Projekten auf. Wie ein Abwehrreflex heißt es dann, Projekt ja, aber bitte nicht bei uns.“