Marlies Mohr

Kommentar

Marlies Mohr

Duft der Kindheit

Gesund / 09.05.2014 • 09:13 Uhr

Der Flieder: schön anzusehen und betörend in der Ausstrahlung. Unlängst habe ich wieder einmal meine Nase in eine dieser lila Blüten gesteckt und dabei den Duft der Kindheit inhaliert. Der Flieder war so etwas wie ein Garant dafür, dass am Muttertag ein Blumengruß auf dem Frühstückstisch stehen würde. Geld für einen dieser künstlich aufgezwiebelten Sträuße gab es nicht. Und der zusammengesparte Rest reichte gerade für eine Schachtel Pralinen oder sonst etwas Kleines. Also haben wir uns bezüglich Blumen bei Mutter Natur bedient.

Fliederbäume standen an allen Ecken. Sie gehörten keinem und jedem. So fiel es nicht weiter auf, wenn an diesem einen besonderen Sonntagmorgen im Mai ein paar Zweige von Nachbars Flieder fehlten. Zumindest gab es nie Beschwerden. Oder die Mutter hat liebevoll dazu geschwiegen. Wie auch immer: Man konnte sich darauf verlassen, dass pünktlich zum Muttertag der Flieder in voller Blüte stand, und wir damit aller Blumensorgen entledigt wurden. Nur einmal hat es nicht funktioniert. Da kehrte unverhofft der Winter zurück. Ich weiß noch, wie wir auf der Suche nach Alternativen durch das Dunkel der Samstagnacht irrten. Die Verlockung, sich in den Beeten einer Gärtnerei zu bedienen, war groß, noch größer allerdings die Angst, entdeckt zu werden. Also ließen wir es bleiben. Ein Muttertag ohne Blumen. Ohne Flieder. Die Mutter hat es uns nachgesehen. Wie so vieles andere im Leben. Sie ist inzwischen gegangen. Der Fliederbaum steht noch im Garten, mit Erinnerungen, die nie verblühen.

marlies.mohr@vorarlbergernachrichten.at