„Liebe mich mit allem, was ich habe“

Gesund / 09.10.2014 • 17:21 Uhr

Renate Daimler bricht in ihrem neuen Buch eine Lanze für das Älterwerden.

Bregenz. (VN-mm) Margarethe Toppelreiter ging mit 90 den Jakobsweg, Gertraud Burtscher fing mit 60 zu studieren an, Mama Fischer ist 93 und hat eine Jausenstation im Wienerwald, Ester Bejarano zählt 90 Lenze, spielte im Mädchenorchester von Ausschwitz und geigt jetzt in einer Rapbad für den Frieden auf. Sie alle hat Renate Daimler für ihr Buch „Wir wilden, weisen Frauen“ interviewt und damit ein eindrucksvolles Plädoyer für das weibliche Altern geschaffen.

Vor Kurzem stellte die gebürtige Bregenzerin, für die seit dem 48. Lebensjahr das Alter kein Thema mehr ist, das Druckwerk im Rahmen einer Lesung im Hotel Schwärzler vor.

Sie meinen, Frauen hätten noch nicht gelernt, mit dem Alter umzugehen.

Daimler: Wir haben noch nicht verstanden, dass es einen neuen Zugang zu diesem Thema braucht. Unsere Urgroßmütter wurden im Durchschnitt nicht einmal vierzig. Wir werden achtzig. Das heißt, wir haben ein ganzes Frauenleben dazubekommen. Leider weiß die Gesellschaft die Schönheit dieser geschenkten Zeit noch nicht zu schätzen.

Warum eigentlich nicht?

Daimler: Die Emanzipation hat bei der Sichtweise auf das Alter aufgehört. Gleichberechtigtes Älterwerden war bis jetzt nicht im Fokus. Es ist immer noch so, wie die amerikanische Essayistin Susan Sonntag schon vor mehr als 40 Jahren geschrieben hat: Frauen altern, Männer reifen. Es liegt an uns, hier eine Veränderung herbeizuführen. Die Männer werden das nicht für uns lösen. Es muss in unserer eigenen Wahrnehmung passieren.

Was hat die Frauen bisher daran gehindert?

Daimler: Es gibt keine Kultur des Alterns. Unsere Großmütter und Mütter hatten andere Sorgen. Insofern kann niemandem eine Schuld zugeschrieben werden. Jetzt jedoch ist eine erste Generation von Frauen da, die neue Bilder gestalten kann. Von denen, die verstanden haben, dass es eine Revolution braucht, muss letztlich die Bewusstseinsbildung ausgehen.

Warum wird das Alter lieber verdrängt, statt sich ihm zu stellen? Es ist ja doch unausweichlich.

Daimler: Das Wort „alt“ hat einen schlechten Beigeschmack. Es ist mit Abstieg und Abwertung verbunden, und so drängen wir uns lieber zusammen im Land der Jugendlichkeit, strengen uns bis zur Erschöpfung an, um dort möglichst lange bleiben zu können. Dabei hätten wir ein eigenes, großes, weites, freies Land, in dem wir wohnen könnten: unser eigenes Alter, unsere eigenen 60, 70, 80 oder 90 Jahre. Wir könnten uns mit Gelassenheit, mit Hingabe, mit Liebe und Dankbarkeit über jedes Jahr, das wir älter werden, freuen.

Warum tun wir es dann nicht oder bislang nur eingeschränkt?

Daimler: In unserem Gehirn gibt es eine breite Spur, so breit wie eine Autobahn, die da heißt: Sieh zu, dass du jünger aussiehst, alt sein ist hässlich. Diese Spur gilt es zu verlassen. Jedes Mal, wenn wir erlauben, in einem Restaurant an einen Katzentisch gesetzt zu werden, machen wir uns mitschuldig daran, dass sich das kollektive Bewusstsein nicht verändert.

Das heißt, dass sich das Schönheitsideal ändern muss, oder?

Daimler: Ja, es wird Zeit, dass wir nicht nur alte Städte und Kunstwerke schön finden, sondern auch alte Menschen. Sonst müssten wir uns damit abfinden, fast die Hälfte unseres Lebens hässlich zu sein.

Was denken die Männer zu diesem Thema?

Daimler: Es gibt Männer, die unterstützen den Prozess, andere brauchen noch Zeit. Auf jeden Fall können wir nicht auf Applaus von außen warten.

Leben Sie schon im Einklang mit dem Alter?

Daimler: Ich tue das, seit ich 48 bin. Und ich liebe mich mit allem, was ich habe und was mir widerfährt. In meiner Jugend habe ich mich ständig kritisiert. Es war mir wenig recht an mir. Jetzt lebe ich in einem besseren Dialog mit meinem Körper. Ich fühle mich freier, wohler im weiten Land des Alters.

Ist es wirklich so einfach?

Daimler: Nein, natürlich gibt es Gegenwind. Aber Ansagen wie „Und das in deinem Alter“ muss man eben aushalten. Ich habe gerne einen Vogel, wenn es bedeutet, dass ich mich bewegen kann, wie ich will.

Was legen Sie den Frauen besonders ans Herz?

Daimler: Albert Schweizer sagte einmal: „Mit den Jahren runzelt die Haut, mit dem Verzicht auf Träume aber runzelt die Seele.“ Hören wir also vor allem nicht auf zu träumen. Träume sind ein Lebenselixier. Und den Satz „Dafür bin ich zu alt“ sollten wir schleunigst aus unserem Sprachschatz verbannen.

Zur Person

Renate Daimler

Geboren: 17. März 1949 in Bregenz

Wohnort: Altenberg bei Greifenstein

Familie: Verheiratet, 2 Kinder

Beruf: Buchautorin, Beraterin

Hobbys: Gartenarbeit, Wandern, Kajakfahren, Lesen

Renate Daimler: Wir wilden weisen Frauen – Von der Kunst des Älterwerdens, Verlag Kösel, Preis: 18,50 Euro