Eigene Gesetze
Der Bub schimpfte wie ein Rohrspatz. „Die sind viel zu kurz, da lachen sie mich in der Schule aus“, meuterte er und beschleunigte seinen Gang. Gerade so, als ob er dem Problem davonlaufen könnte. Doch das ging nicht. Denn es saß, buchstäblich fest verwurzelt, auf seinem Kopf. Der Friseur hatte es offenbar zu gut gemeint und zu viel der Haarpracht der Schere geopfert. So jedenfalls empfand es der Teenager.
Die Mutter versuchte ihren einigermaßen aufgebrachten Sohn zu beruhigen. „Die wachsen wieder. Jede Woche einen halben Millimeter, das geht sich bis Schulanfang gut aus“, meinte sie und strich ihm tröstend über die Stoppeln am Hinterkopf. Wirklich zu überzeugen vermochte dies den jungen Mann zwar nicht, aber er schien sich in sein Schicksal zu ergeben. Es half ja doch nichts. Die Haare waren ab. Schluss. Aus. Amen.
Kinderseelen folgen ihren eigenen Gesetzen. Da können schon Kleinigkeiten wie eine zu kurz geratene Frisur für Aufruhr sorgen. Der Bub hatte Glück, weil die Mutter seinen Kummer ernst nahm und ihr Möglichstes tat, um seine aus den Fugen geratene Welt wieder in Balance zu bringen. Wie schlimm muss es für jene Kinder sein, denen niemand zuhört, deren Sorgen als Bagatellen durchgewinkt werden, weil Zeit fehlt. Da mag es noch so viele wohlgemeinte Projekte zu mehr Kinderfreundlichkeit geben. Letztendlich sind es die Großen im engen Umfeld der Kleinen, die über ihr Wohl entscheiden. Reichen Sie ihnen die Hand. Zu jeder Zeit. Es sollte nichts Wichtigeres als Kinder geben.
marlies.mohr@vorarlbergernachrichten.at
Kommentar