„Stress macht Gelassenheit wertvoll“

Beim Medicinicum in Lech wurde ein besonderes Phänomen unserer Zeit diskutiert.
Lech. (VN-mm) Der Stress hat viele Facetten. Das zeigte sich sehr eindrücklich beim diesjährigen Medicinicum in Lech, das sich ausführlich dieser Thematik widmete. Neben harten Fakten wie der Tatsache, dass laut den Experten 90 Prozent der psychischen und physischen Erkrankungen durch Stress mitverursacht oder gar verursacht werden, gab es aber auch nachvollziehbare Anleitungen, wie diesem allgegenwärtigen Phänomen beizukommen ist. Gelassenheit, Muße und Achtsamkeit waren in diesem Zusammenhang die tragenden Begriffe. Wilhelm Schmid, angesagter Lebensphilosoph, brachte die Sache auf den Punkt: „Stress ist ein Segen, weil er Gelassenheit wertvoll macht. Denn sonst würden wir den Gegensatz nicht kennen.“
Allerdings kommt es auch auf die Art des Stresses an, wie in den Referaten immer wieder betont wurde. Es gibt den positiven und den negativen Stress. „Positiver Stress ist leistungsmotivierend und langfristig gesundheitsfördernd“, erklärte beispielsweise der Ulmer Präventionsmediziner Alfred Wolf. Gesundheitliche Sprengkraft erhält Stress jedoch, wenn er zum Dauerzustand wird. Laut seinen Erkenntnissen haben stressassoziierte Krankheiten wie Herzinfarkt oder Burnout enorm zugenommen. Ein Drittel der Bevölkerung ist demnach betroffen. Ebenso beeinflusst Stress die Biologie. „Schon Kinder im Mutterleib reagieren auf Belastungen der Eltern“, verdeutlichte Wolf. Negative Lebensereignisse in der Kindheit können gar das gesamte Leben prägen.
Kraft des Geistes
Die molekularbiologischen Zusammenhänge von Stress und Krankheiten erläuterte vertiefend Johannes Huber, zweiter wissenschaftlicher Leiter des Medicinicums. Gleichzeitig betonte er, dass wissenschaftlich erwiesen nicht nur Medikamente, sondern auch die Einstellung des Erkrankten für die Genesung eine entscheidende Rolle spielt. „Der Körper ist der beste Mediziner und glaubwürdiger als jeder Professor“, merkte Huber an. Er gab sich überzeugt, dass etwa die Meditation bald auch ein medizinisches Thema werde. Huber: „Mit der Kraft des Geistes lässt sich mehr bewegen als wir denken.“
Das gilt auch für die Ernährung. Zu viel, zu fett, zu süß: Das ist die derzeit gängige Ernährungsformel. Der wissenschaftliche Leiter des Medicinicums und Anti-Aging-Experte Markus M. Metka warnte davor, sich von den Werbeversprechen der Lebensmittelindustrie einlullen zu lassen. Vor allem der hohe Zuckeranteil in der Nahrung stresst den Körper enorm. In einer emotional geführten Debatte wurde den mit Kanada und den USA geplanten Freihandelsabkommen CETA und TTIPP eine deutliche Absage erteilt. Auch, weil damit Europa mit noch mehr Zucker überschwemmt werde. Es müsse alles getan werden, um diese Vereinbarungen zu verhindern, stimmte dem auch Spar-Vorstandsvorsitzender Gerhard Drexel uneingeschränkt zu.
Belastung und Entlastung
Zum Stressabbau gehört auch Bewegung. Thomas Bochdansky, Experte für physikalische und rehabilitative Medizin, betonte etwa die Bedeutung von Belastung und Entlastung. Reinhard Haller, Leiter des Suchtkrankenhauses Maria Ebene, hielt vor der wunderbaren Lecher Bergkulisse ein leidenschaftliches Plädoyer für das Wandern. „Wenn wir wandern, wandert nicht nur der Körper, sondern auch der Geist“, gab Haller zum Besten. Was wiederum ein Weg zu mehr Gelassenheit und Achtsamkeit sein kann. Dazu gehört auch körperliche und seelische Beziehungen sowie gute Gewohnheiten pflegen, Lüste genießen, Gefühle empfangen und geben und akzeptieren, dass es im Leben nicht nur Freude, Erfolg und Gesundheit, sondern eben genauso das Gegenteil gibt.
Das Medicinicum Lech 2017, das vom 6. bis 9. Juli stattfindet, steht unter dem Titel „Viele Wege führen zur Gesundheit“. Im Mittelpunkt stehen die kulturhistorisch gesehen größten „medizinischen Schulen“, nämlich die indische, die chinesische und die westliche. Besonderes Augenmerk wird wiederum auf ernährungsmedizinische Aspekte sowie auf „Anti-Aging“ gelegt, wobei Letzteres besser „Art of Aging“ genannt werden sollte, wie Markus M. Metka noch anmerkte.
