Zwischen Natur und Moderne

Gesund / 22.07.2016 • 10:09 Uhr
Lobsang Dhandup Dripalsang (im Bild mit Herbert Schwabl) beherrscht die Tibetische Medizin. Foto: mm
Lobsang Dhandup Dripalsang (im Bild mit Herbert Schwabl) beherrscht die Tibetische Medizin. Foto: mm

Die Tibetische Medizin versucht, beiden Anforderungen gerecht zu werden.

Lech. (VN-mm) Drei Finger liegen auf der Pulsregion beider Hände. In sich gekehrt lauscht Lobsang Dhandup Dripalsang einige Minuten dem Fluss des Blutes. Dann fixiert er sein Gegenüber aus wachen Augen. „Fühlen Sie sich gut?“, fragt er. Ja, schon, zumindest subjektiv. „Essen Sie regelmäßig und vor allem warm?“ Erwischt. Das leidet, auch weil die Lust am Kochen enden wollend ist. Das scheint der Gallenblase nicht unbedingt zu bekommen. „Sie sollten da mehr auf sich achten“, rät Lobsang in gebrochenem Englisch und lächelt dabei.

Zusammenarbeit

Der 47-Jährige ist Arzt für Tibetische Medizin. Seine Kenntnisse hat er sich unter anderem an dem vom Dalai Lama in der im nordindischen Stadt Dharamsala gegründeten tibetischen Medizininstitut Men-Tsee-Khang angeeignet. Seit einigen Jahren lebt Dhandup Dripalsang nun schon als anerkannter Flüchtling in der Schweiz. Da er als Arzt nicht arbeiten darf, bringt sich Dripalsang bei Padma ein. Seit über dreißig Jahren produziert das Unternehmen Arznei- und Nahrungsergänzungsmittel auf Basis uralter tibetischer Rezepturen. 2011 ist es gelungen, für ein solches pflanzliches Arzneimittel von der österreichischen AGES eine Zulassung zu erhalten. „Es war dies die erste Rezeptur aus einer asiatischen Medizintradition, die in einem EU-Mitgliedsstaat als Arzneimittel zugelassen wurde“, berichtet Forschungsleiter Herbert Schwabl. Um authentisch sein zu können, wird großer Wert auf die Zusammenarbeit mit Tibetern gelegt. Auch Dhandup Dripalsang gehört zum Mitarbeiterstab. Es gilt, die tibetische Naturmedizin mit den medizinischen und gesetzlichen Erfordernissen des Westens in Einklang zu bringen.

Eigenständige Wissenschaft

Die Tibetische Medizin ist im sechsten Jahrhundert durch Adaptierungen des Heilwissens aus Indien, China, Persien sowie Tibet als eigenständige Wissenschaft entstanden und wurde danach von tibetischen Gelehrten weiterentwickelt. Der tibetische Kulturkreis zieht sich von Nordindien über Nepal und das eigentlichen Tibet und erstreckt sich weiter nach Norden bis in die Mongolei und nach Burjatien, einer russischen Provinz in Sibirien östlich des Baikalsees. Im deutschsprachigen Raum wurde die Tibetische Medizin bereits Anfang des 19. Jahrhunderts durch Joseph Rehmann bekannt, der in Wien Medizin studierte und dann einem russischen Gesandten als persönlicher Arzt nach St. Petersburg folgte. Aber nicht nur in Europa ist die tibetische Gesundheitslehre angekommen. In Ländern wie China, Bhutan und der Mongolei ist Tibetische Medizin schon länger ein fixer Teil des staatlichen Gesundheitssystems und mittlerweile zu einem wichtigen Teil der boomenden asiatischen Wissensindustrie geworden.

Mehr als zwei Drittel der Weltbevölkerung konsumieren inzwischen „traditionelle“ Heilmittel, wobei besonders asiatische Medi­zinformen den Markt dominieren. In asiatischen Regionen sind tibetische Arzneimittel ausschließlich per Rezept erhältlich und werden meist nur von hauseigenen Klinikapotheken ausgegeben. Tibetische Kliniken haben in Indien den Anspruch, die Medizin auch für arme Menschen zugänglich zu machen, weshalb die Preise und Gewinnmargen eher niedrig ausfallen. Trotzdem entwickelt sich die Tibetische Medizin zunehmend zu einem lukrativen Geschäft auf diesem Kontinent.

Patientenbeziehung

Lobsang Dhandup Dripalsang sieht seine Medizin als Angebot für den modernen Menschen. „Viele Leute haben Stress und dadurch Verdauungsprobleme“, erzählt er. Seine Empfehlung: eine gute und typgerechte Ernährung, regelmäßige Atemübungen, Früchte, genügend Schlaf und im Bedarfsfall Naturmedizin, die eine Langzeitanwendung ohne Nebenwirkungen ermögliche. Auch eine gute Arzt-Patientenbeziehung fördere den Heilungseffekt, sagt Lobsang mit Hinweis darauf, dass die Zusammenarbeit mit der Schulmedizin für ihn kein Problem darstellt.