Hebammen am Nabel des Wunders Mensch

Unterstützung durch eine Hebamme ist mehr als je gefragt und gefordert.
Thüringen Nichts verbindet Urkraft und Urvertrauen mehr als das Menschwerden und der folgende Urschrei eines Babys. Wer das tief bewegende Ereignis einer Geburt schon einmal (mit)erlebt hat, weiß um die essenzielle Bedeutung der unterstützenden Hände einer Hebamme. Nicht nur, dass in Österreich die Beiziehungspflicht einer Hebamme bei einer Geburt gilt, auch und vor allem wünschen sich Gebärende durchwegs die Unterstützung einer Hebamme. Das belegt einmal mehr eine in Österreich durchgeführte Onlineumfrage zur Hebammenarbeit (lesen Sie mehr anbei). Fit&Gesund sprach mit der diplomierten Hebamme Helga Hartmann über die Bedeutung der helfenden Hände rund um die Geburt, über Hebammenmangel und mögliche Ängste.
Gleich vorneweg: Hebammen unterstützen in einer Situation, die das Leben neu definiert. Welche Worte geben Sie werdenden Eltern mit auf den Weg?
… dass sie die Zeit der Schwangerschaft als eine Zeit der guten Hoffnung erleben dürfen, dass aber auch Unsicherheit und Ängste auftreten können, bei denen wir Hebammen ihnen gerne als Fachfrauen zur Seite stehen. Eine breite Palette an Gefühlen ist völlig normal in dieser neuen Lebenssituation, die ja für die werdenden Eltern eine spannende Reise in ihre Zukunft als Familie bedeutet.
Gleichzeitig mit der freudigen Nachricht einer Schwangerschaft tauchen Hunderte Fragen auf, ebenso viele Antworten werden gesucht, mitunter Ängste geschürt, gerade auch in verschiedensten Medien. Wie sehen Sie die Entwicklung, zu welchen Infoquellen raten Sie?
Die beste Information bekommt man von einer fachlich qualifizierten Person in einem persönlichen Gespräch, sei es der Arzt oder die Hebamme. In der 18. bis 22. Schwangerschaftswoche sollte die Möglichkeit eines kostenlosen Hebammenberatungsgesprächs laut Mutter-Kind-Pass in Anspruch genommen werden. Bei diesem Gespräch können alle persönlichen Fragen rund um Schwangerschaft, Geburt, Wochenbett, Stillen, Ernährung, Information über mögliche Unterstützungsmöglichkeiten in schwierigen, belastenden Situationen und noch vieles mehr auf die eigenen Bedürfnisse abgestimmt besprochen und beantwortet werden. Auch die Hebammenbroschüre bietet neben ausführlicher fachlicher Information unter anderem eine Liste aller freiberuflich tätigen Hebammen mit Kontaktdaten.
Gehören terminierte Entbindungen gerade in Zeiten, in denen alle Lebenssituationen am liebsten geplant und abgesichert sein wollen, heute mehr denn je zum Alltag bzw. haben Geburten per geplantem Kaiserschnitt zugenommen?
Zum Thema Wunschkaiserschnitt gibt es nicht genug Statistiken oder Zahlen. Was sich aber klar sagen lässt: Die Gesamthöhe der Kaiserschnittrate hat zugenommen. So wird im Durchschnitt fast jedes dritte Kind per Kaiserschnitt zur Welt gebracht. Hier würde ich mir für alle Schwangeren wünschen, dass ausschließlich bei medizinisch notwendig indizierten Situationen zum Messer gegriffen wird. Weder ein höheres Alter der Gebärenden noch eine Zwillingsschwangerschaft, Steißlage oder ein vorangegangener Kaiserschnitt sind zwingende medizinische Gründe für einen Kaiserschnitt. Viele dieser Frauen können eine Spontangeburt haben. Jede Schwangere sollte die Möglichkeit nutzen, um mit einer vertrauten fachlich qualifizierten Person über die verschiedenen Möglichkeiten einer Geburt zu sprechen. Allein wenn eine Gebärende über die verschiedenen Phasen der Geburt Bescheid weiß und ihr die unterschiedlichen Unterstützungsmöglichkeiten bekannt sind, kann sie sich auf das lange herbeigesehnte Ereignis der Geburt einlassen. Frauen sollen mehr darauf vertrauen, dass sie unbeschreibliche Kräfte freisetzen können und ausreichend Energie fließt, um spontan zu entbinden. Außerdem gibt es die Möglichkeit einer PDA, keine Frau muss mehr vor unerträglichen Schmerzen Angst haben. Sollte sie während der Geburt an ihre persönliche Grenze gelangen, so kann gut mit verschiedenen Mitteln geholfen werden.
Sie sind eine von derzeit 116 Hebammen in Vorarlberg. Sehen Sie einen aktuellen bzw. kommenden Engpass?
Dass wir bereits einen Hebammenengpass haben, ist zweifelsohne spürbar. Immer mehr Anfragen von Schwangeren über eine Nachbetreuung nach der Geburt müssen abgesagt werden. Das Aufgabengebiet einer Hebamme ist sehr vielseitig, das macht sich jetzt im Vergleich zu vor zehn Jahren bemerkbar. War damals noch ein Großteil der Hebammen fast ausschließlich angestellt und einige ausschließlich freiberuflich tätig, so zeigt sich heute ein anderes Bild: Ca. zwei Drittel der Hebammen sind sowohl angestellt als auch freiberuflich tätig. Im Jahr 2010 waren ca. 95 Hebammen in Vorarlberg gemeldet, heute sind es 116 Hebammen, und es gibt noch immer einen Mehrbedarf an Hebammen. Zwei Hebammen bieten in Vorarlberg die Hausgeburt an.
Was wäre die Lösung?
Eines unserer großen Anliegen ist die Überarbeitung der derzeitigen Stellenpläne in den Krankenhäusern, diese sind veraltet und entsprechen nicht den heutigen Anforderungen einer guten und sicheren Geburtsbegleitung. Eine 1:1-Betreuung durch eine Hebamme während der Geburt ist nachweislich die sicherste Geburtsbegleitung. Übrigens: Die Hebammenausbildung ist ein dreijähriges Bachelorstudium an derzeit sieben Fachhochschulen in Österreich. In Vorarlberg wird dieses Studium nicht angeboten. Die Fachhochschule Innsbruck hat auf den Hebammenmangel reagiert und bietet jetzt im Zweijahresrhythmus einen Ausbildungslehrgang an. Das bedeutet jedoch nicht, dass dadurch auch mehr Vorarlberger einen Studienplatz in Innsbruck erhalten.
Es gibt die Möglichkeit, eine Hebamme für die persönliche Betreuung zu buchen. Wie kann das erfolgen?
Die Kontaktaufnahme zu einer Hebamme ist recht unkompliziert: Entweder man sucht sich die Hebamme im Internet über www.hebammen.at oder man kann im Mutter-Kind-Pass den dort beigelegten Hebammenfolder zur Suche beiziehen. Der optimale Zeitpunkt für die Kontaktaufnahme für die Nachsorge ist sicher zwischen der zwölften bis 18. Schwangerschaftswoche. Bei der Betreuung durch eine Kassenvertragshebamme entstehen keine Kosten. Bei der Betreuung durch eine Wahlhebamme werden 80 Prozent des Kassatarifs rückerstattet. Die beste Idee ist, man lässt sich eine Hebammenbetreuung schenken. Das wäre ein absolut einzigartiges, wertvolles, persönliches und individuelles Geschenk.

Zur Person
Helga Hartmann
ist diplomierte Hebamme, arbeitet als Elternberaterin bei Connexia, ist auch freiberuflich als Wahlhebamme tätig und leitet die Geschäftsstelle des Österreichischen Hebammengremiums in Vorarlberg
Diplomiert 1992 in Innsbruck
Geboren 27. Februar 1969
Familie verheiratet, 3 erwachsene Kinder
Hobbys Puzzlen, Singen, Hebammerei
Motto Schritt für Schritt ans Ziel

Hebammenarbeit im Umfrage-Fokus
Wien FOKUS KIND Medien, MAM Babyartikel und HebPlus initiierten (Februar bis März 2019) gemeinsam die bislang größte österreichweite Umfrage zum Hebammenberuf, mit Unterstützung des Österreichischen Hebammengremiums. Teilnehmer waren Frauen und Männer, die bereits Kinder haben, aktuell ein Kind erwarten oder einen Kinderwunsch hegen. Die Ergebnisse der Befragung von 8183 Teilnehmer zeigen, dass Hebammen – noch vor Familie, Freunden und Ärzten – als wichtige Ansprechpartnerinnen rund um die Geburtshilfe fungieren. Die Suche nach einer geeigneten Hebamme erfolgt heute oftmals online, gestaltet sich für rund ein Drittel aller Befragten schwierig.
Einige Fakten . . .
» 90 Prozent gaben an, Hebammenleistungen in Anspruch nehmen zu wollen oder bereits in Anspruch genommen zu haben.
» Bei Fragen rund um das Neugeborene, Stillen, Ernährung sowie Pflege werden Hebammen als erste Ansprechpartnerin mit 88,7 Prozent gewählt, gefolgt von Freunden, Familie (59,6 Prozent) und Kinderärzten (54 Prozent).
» Im Wochenbett würden 87,6 Prozent eine Hebamme zurate ziehen bzw. haben dies getan; während der Schwangerschaft sind dies 77,8 Prozent, der Geburt 68,3 Prozent.
» Als wichtigste Hebammenleistungen gelten Hausbesuche im Wochenbett (91,7 Prozent), die Geburtsvorbereitung (89,6 Prozent) und die Begleitung bei der Geburt (87,4 Prozent).
» Die Versorgung durch eine Hebamme tatsächlich sicherstellen zu können, empfinden 41,2 Prozent als „schwierig“, 8,1 Prozent meinen, sie sei „sehr schwierig“.
» 36,4 Prozent der Befragten haben ihre Hebamme online gefunden; knapp gefolgt von 36,2 Prozent, die einer Empfehlung von Freunden und Familie vertraut haben.
» 28,7 Prozent bezeichnen die erfolgreiche Suche nach einer Hebamme als „schwierig“, 5,8 Prozent gar als „sehr schwierig“.
» 12,8 Prozent gaben an, dass sie sich keine Hebamme für die Geburtshilfe leisten können oder konnten; 31,7 Prozent meinten, dass sie nicht wussten, dass die Krankenkasse für einzelne Hebammenleistungen aufkommt.