Suggestion auf emotionaler Ebene

Über das Spannungsfeld zwischen Schulmedizin und paramedizinischen Disziplinen.
FRASTANZ Das Aufgebot an Heilern, Schamanen, Reiki-Anwendern, Esoterikern, diversen Coaches, Lebens- und Sozialberatern oder auch Familien-Aufstellern wächst permanent. Darunter befinden sich neben seriösen Angeboten sehr viele Scharlatane. Wie beispielsweise jene Energetikerin in der Steiermark, die angeblich im Kontakt mit Lichtwesen steht und Alternativen zu Impfungen anbietet. Offenkundig ist es vielen Menschen ein Bedürfnis, Heilung nicht nur in der Schulmedizin zu suchen. Die Auswahl an unterschiedlichsten Verfahren, Methoden und Vermittlern ist nicht enden wollend.
„Es ist vielfach so, dass sich die Menschen durch die Apparatemedizin nicht mehr wahrgenommen fühlen. Sie haben neben dem technischen Aspekt auch das Bedürfnis, ganzheitlich gesehen zu werden. Der Prozess des ‚Heilens‘ ist nicht mehr erfassbar, oft entsteht der Wunsch nach etwas Geheimnisvollem, einer besonderen Methode oder einem Heiler, der sozusagen die Gesundung von oben vornimmt. Dies ist nichts Neues, denn schon in früheren Zeiten erwarteten sich Menschen Hilfe von Geistheilern und Wallfahrtsorten“, erklärt Psychiater und Autor Reinhard Haller.
Wahnvorstellungen
Gefährlich wird diese Heilssuche bei alternativen Konzepten jedoch, wenn eine massive Grunderkrankung vorliegt und diese nicht erkannt und somit fachgerecht behandelt werden kann. Manche Behandlungsmethoden verstärken sogar noch Symptome. Wird bei einem psychotischen Krankheitsbild beispielsweise ein schamanistisches Ritual durchgeführt, können ausgeprägte Wahnvorstellungen die Folge sein. „In der Akutpsychiatrie habe ich oft erlebt, dass junge Menschen nach einer Familienaufstellung oder dem Besuch bei einem Guru mit einer Psychose eingeliefert wurden“, zeigt sich auch Psychiaterin Susanne Westreicher besorgt. Wobei die Abgrenzung zur Scharlatanerie oft fließend ist. „Diese transzendentale Seite einer Behandlung habe ich schon als Kind erlebt. Ich hatte sehr viele Warzen und ging nach vielen Behandlungen mit allen möglichen Salben und Tinkturen zu dem ‚Gücklar‘ im Bregenzerwald. Dieser fuhr mir über die Warzen und beauftragte mich, zu einem ganz bestimmten Zeitpunkt ein „Vater Unser zu beten“. Ich war sehr skeptisch, aber in zehn Tagen waren die Warzen weg und sind nie mehr gekommen“, erzählt Reinhard Haller. Paramedizinische Disziplinen beinhalten für den Psychiater ein suggestives Element: „Ich bin ein pragmatischer Mensch und schließe mich dem Spruch des größten Arztes des Mittelalters, Paracelsus, an: Wer heilt, hat recht. Wobei ich jedoch betone, dass immer zuerst die Schulmedizin probiert werden soll. Die Errungenschaften auf diesem Gebiet haben wesentlich zu einer Verbesserung der Heilungsquote von Krankheiten geführt.“
Bei psychischen Missbefindlichkeiten könne als subjektives Element der Therapeut oder das Charisma eines Heilers durchaus positiv wirken. „Selbst ein MRI ist ein extrem suggestives Element“, sagt Haller. Das Ganze werde allerdings kritisch, wenn Menschen ohne geringste Kompetenz Empfehlungen aussprechen und von wirkungsvollen Medikamenten abraten, da diese angeblich giftige Chemie enthalten und die Pharmaindustrie nur wirtschaftliche Interesse verteidige. Während in Europa der Trend in Erklärungsmustern zum Transzendentalen steige, sei es in Afrika genau umgekehrt, dort haben Infusionen einen enormen Suggestivwert. „Ich schließe jedoch nicht aus, sollte ich aufgrund einer schweren Erkrankung austherapiert sein, nicht auch die Hilfe eines Heilers in Anspruch zu nehmen, aber nicht davor“, merkt Reinhard Haller an. BI
„Die Menschen haben auch das Bedürfnis, ganzheitlich gesehen zu werden.“
