Die Tuchhändlerin und die Weberei von Tisis

Heimat / 09.01.2025 • 15:48 Uhr
Die Tuchhändlerin und die Weberei von Tisis
Die Weberei um das Jahr 1900. Stadtarchiv Feldkirch

Ausgehend von einem Grenzgasthaus entwickelte sich in Tisis die florierende Textilfabrik Weberei Vallaster und Leibinger, die die lokale Wirtschaft prägte.

Feldkirch Wo heute die alte Industrieanlage von Tisis steht, klirrten einst Gläser im Gasthaus „Zu den Drei Königen“. Dieses Grenzgasthaus, das an der wichtigen Verbindung zwischen Österreich und Liechtenstein lag, verlor in den 1840er Jahren an Bedeutung. Der veränderte Transitverkehr ließ den Betrieb schrumpfen, doch sein Besitzer Johann Wendelin Fehr hatte eine visionäre Idee. In der Scheune seines Gasthauses richtete er eine Handweberei ein – der erste Schritt zu einem später florierenden Industrieunternehmen.

Die Tuchhändlerin und die Weberei von Tisis
Die Weberei Vallaster und Leibinger 2013 als Spiegel der regionalen Textilindustrie.

Moderne Buntweberei

Bereits 1855 beschäftigte die kleine Weberei Thohl und Fehr 45 Weberinnen. Diese Entwicklung zog die Aufmerksamkeit von Josepha Leibinger Vallaster auf sich. Sie war eine bemerkenswerte Frau ihrer Zeit: als Tuchhändlerin in Feldkirch bekannt, vereinte sie Geschäftssinn mit einem Gespür für industrielle Chancen. 1866 kaufte sie den Betrieb, bestehend aus drei zusammenhängenden Häusern, und verwandelte ihn in eine moderne Buntweberei mit integrierter Färberei und Appretur. Josepha Leibingers außergewöhnlicher Lebensweg inspirierte später sogar ein Buch mit dem Titel „Die Tuchhändlerin“. Sie wurde 1808 in Feldkirch in einfachen Verhältnissen geboren und war keine Frau, die sich mit dem ihr zugewiesenen Platz im Leben zufriedengab. Als sie begann Handel zu treiben, trat sie damit in Konkurrenz zu einflussreichen Kaufleuten. Mit weiblichem Gespür und Geschick nutzte sie die zentrale Lage Feldkirchs und dehnte ihre Tätigkeit immer weiter aus. Fast nebenbei brachte sie neun Kinder zur Welt. Josepha richtete 1871 im ehemaligen Zollhaus ein Arbeiterwohnhaus ein, um den stetig wachsenden Bedarf an Arbeitskräften zu decken. Ab 1874 führten ihre Söhne den Betrieb gemeinsam weiter. 130 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, viele davon aus dem benachbarten Liechtenstein, waren um die Jahrhundertwende in der Weberei tätig. Der Betrieb florierte, und 1893 übernahm ihr Enkel Otto von Furtenbach das Unternehmen. Mit frischem Wind modernisierte er die Anlage und führte den Betrieb durch eine Zeit des wirtschaftlichen Umbruchs.

Betriebseinstellung

Doch der Erste Weltkrieg setzte der Erfolgsgeschichte ein jähes Ende. Im Gegensatz zu größeren Textilfirmen konnte Furtenbach & Cie. keine Heeresaufträge sichern und musste den Betrieb einstellen. Ein Neustart gelang erst 1925. Eine weitere Etage wurde aufgestockt, die Energieversorgung modernisiert. Doch die Weltwirtschaftskrise stellte die Firma vor unlösbare Probleme: 1930 wurde die Weberei an ihren Hauptkunden, die Textilfirma Ganahl, verkauft. Die Firma Ganahl nutzte die Gebäude in Tisis für eine zentralisierte Webereiproduktion. Färberei und Appretur wurden nach Frastanz verlegt, und die Weberei wandelte sich in eine kompakte Produktionsstätte. Auch an die Arbeiter wurde gedacht: am Hang hinter der Fabrik entstanden einfache Wohnbaracken, von denen eine bis heute erhalten geblieben ist.

Die Tuchhändlerin und die Weberei von Tisis
Die Ganahl-Wohnbaracke.

Verblasster Glanz

Trotz aller Anpassungen schloss die Textilfabrik in Tisis 1966 endgültig ihre Tore. Die Industrialisierung hatte sich weiterentwickelt, und der kleine Standort konnte mit größeren Fabriken nicht mehr mithalten. Seitdem beherbergen die Gebäude verschiedene Nutzungen: ein Holzverarbeitungsbetrieb, Vereinsräume und leer stehende Flächen zeugen vom einstigen Glanz der Textilindustrie. Am Hang oberhalb der Fabrik ist der künstlich angelegte Weiher, der einst die Wasserversorgung des Betriebs sicherte, längst verlandet. Doch der Töbelebach, die Lebensader der Fabrik, fließt noch immer – ein Zeuge der industriellen Blütezeit von Tisis. MEC