Von Alt-Klarenbrunn zum „Sündentempel“

Am Brunnenbach entstand in den 1830er Jahren eine erste Spinnerei.
Bludenz Neben der 1818 gegründeten Firma Getzner, Mutter & Cie. verfolgten im Zuge der ersten großen Industrialisierungswelle im Land auch andere die Idee, Textilfabriken zu errichten. So wurde 1836 am Brunnenbach, dem einzigen Fließwasser, das als Energiequelle genutzt werden konnte, eine Spinnerei errichtet. Initiatoren war ein Konsortium mehrerer Bludenzer, angeführt von Basil Wolf, Carl Hülz, Joseph von Ganahl und Jakob Lorünser, die später auch die Prokura der Gesellschaft innehatten.

In dem monumentalen Bau der Fabrik Alt-Klarenbrunn wurden bereits 1837 die ersten Spinnstühle aufgestellt und wohl im nächsten Jahr wurde der Vollbetrieb aufgenommen. 1841 waren insgesamt 12 Spinnmaschinen mit 4320 Spindeln in Betrieb; über 50 Arbeiter waren im Betrieb beschäftigt. Das Unternehmen florierte, allerdings nur wenige Jahre, denn bereits in den 1850er Jahren kam es unter den Gesellschaftern zu ersten Unstimmigkeiten. Die weitverzweigten Firmenanteile, die durch Vererbungen noch komplizierter wurden, erwiesen sich als wahrer Hemmschuh, wenn es um Weiterentwicklungen ging.
Kurzzeitig stand die Firma vor dem Aus, aber nach dem Abschluss eines neuen Gesellschaftsvertrags gelang 1860 ein Neuanfang. Allerdings sorgte der Kampf um die so dringend benötigten Wasserrechte am Brunnenbach, die im Besitz der Freiherren von Sternbach waren, für neue Unruhe. Aber noch Mitte der 1860er Jahre ist von über 5000 Spindeln die Rede, Beleg für die guten Geschäfte der Firma. Aber als dann immer mehr Erben ihre Teilhabe an der Gesellschaft verkaufen wollten, nahte das Ende, und 1881 wurde Alt-Klarenbrunn stillgelegt und zum Verkauf angeboten. Wieder kam es unter den Gesellschaftern zu Unstimmigkeiten über die Form des Verkaufs. Den Zuschlag erhielt die inzwischen weiter gewachsene Konkurrenzfirma Getzner, Mutter & Cie.
Der neue Besitzer nutzte das Fabriksgebäude aber gar nicht in seiner ursprünglichen Weise, einerseits wegen der veralteten Maschinen, andererseits wegen der geplanten Errichtung eines neuen Gebäudes in der Au. Die alte Fabrik wurde zu einem Wohnhaus für die Bediensteten. Insgesamt entstanden 24 Wohneinheiten mit Wohnflächen zwischen 35 und 40 Quadratmeter. Sie bestanden aus zwei Schlafräumen, einer Stube und einer Küche. Die sanitären Verhältnisse mit Fallklosett im gemeinsamen Hausgang wurden nach dem Anschluss an das städtische Wassernetz Ende der 1920er Jahre verbessert. Da hier vor allem italienischsprachige Zuwanderer einquartiert waren, entstand in der Bludenzer Bevölkerung der Eindruck liederlichen Lebenswandels, was dem Gebäude schnell die Bezeichnung „Sündentempel“ einbrachte. Diese war aber wohl in erster Linie eine Folge der Spannungen zwischen den deutschen und italienischen Bevölkerungsgruppen. In den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg wurden die Wohneinheiten zu einer Größe von 70 bis 80 Quadratmetern zusammengelegt. Das Ende für die Fabrik Alt-Klarenbrunn respektive den „Sündentempel“ kam im Zuge der Erweiterung des Getzner-Betriebsareals 2017. OS