“Meine Bücher sind Beobachtungen”

Die renommierte Korrespondentin über Literatur, Putin, Flüchtlinge und Altersarmut.
Die bekannte ORF-Korrespondentin Susanne Scholl war lange Jahre in Moskau und Bonn tätig und ist eine ausgewiesene Russland-Expertin. Neben ihrer journalistischen Arbeit hat sie zahlreiche Bücher veröffentlicht und widmet sich nun verstärkt der Literatur. Scholl wurde mehrfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem Axel-Corti-Preis und dem Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst der Republik Österreich.

Sie haben eine breite Palette von Sachbüchern veröffentlicht und sind heute in der Belletristik aktiv. Wie finden Sie das richtige Gleichgewicht zwischen Realität und Fiktion in Ihren Romanen?
Antwort: Als ehemalige Journalistin verspüre ich den natürlichen Drang, auch in meinen literarischen Werken nicht zu weit von der Realität abzuweichen. Für mich bietet das Schreiben von literarischen Texten die Möglichkeit, über Ereignisse zu berichten, die zwar möglich gewesen sein könnten, aber nicht zwangsläufig hätten passieren müssen. Wenn ich literarische Texte verfasse, fließen meine langjährigen Erfahrungen als Korrespondentin in meine Werke ein. Im Kern sind es jedoch Beobachtungen. Ich habe die Gewohnheit, sehr genau hinzuschauen, auch an Orte, an denen andere achtlos vorbeigehen.

Sie haben Vladimir Putin persönlich getroffen. Würde es Sie reizen, ihn als literarische Figur zu gestalten?
Obwohl ich bereits viel über Russland geschrieben habe, habe ich nie ernsthaft darüber nachgedacht, ein Buch über Putin zu schreiben. Aber als literarische Figur könnte ich es mir vorstellen, indem ich die unaufhaltsame Karriere eines KGB-Agenten hin zu einem der mächtigsten Männer der Welt darstelle. Ob es jedoch wirklich das Interesse der Leser wecken würde, ist eine andere Frage. Abgesehen davon, dass es vielleicht die Botschaft vermittelt, dass kleine Männer nicht in die Politik gehen sollten. Interessanterweise waren viele Männer, die großes Unheil angerichtet haben, tatsächlich eher klein (lacht).

Frage: In Ihrem Roman “Wachtraum” aus dem Jahr 2017 thematisieren Sie die Flüchtlingssituation. Hat sich seitdem etwas verändert?
Die Migrations- und Flüchtlingsströme haben zugenommen, und häufig werden Flüchtlinge und Migranten in einen Topf geworfen, obwohl es deutliche Unterschiede zwischen ihnen gibt. Flüchtlinge müssen in ihrer Heimat alles zurücklassen, sie kommen mit nichts, während dies bei Migranten nicht der Fall ist. Diese Ungerechtigkeit im Umgang mit Flüchtlingen, die nichts dafür können, ist einer der Hauptgründe, warum ich mich in der Gruppe “Omas gegen Rechts” engagiere.

In Ihrem aktuellen Roman “Omas Bankraub” behandeln Sie das Thema Altersarmut auf humorvolle Weise.
Ursprünglich hatte ich nur die Idee von vier Omas, die eine Bank überfallen, im Kopf. Meine Lektorin wies mich nach den ersten beiden Kapitel darauf hin, dass das Buch auch das Thema Altersarmut behandelt. Ich glaube, dass Humor eine effektive Möglichkeit ist, sich schwierigen Themen anzunähern, auch wenn es manchmal schwerfällt, angesichts aktueller Ereignisse. Man fühlt sich oft hilflos und kann eigentlich nur noch laut schreien. Aber eine Freundin sagte einmal zu mir, dass jeder kleine Beitrag zählt, und deshalb bleibe ich engagiert. Es gibt immer mehr Frauen, die Schwierigkeiten haben, im Alter finanziell über die Runden zu kommen, und es ist beschämend, dass dies in einem Land, das sich als eines der reichsten der Welt bezeichnet, geschieht.

Frage: Welche Projekte haben Sie für die Zukunft geplant?
Antwort: Ich plane, meine Erinnerungen aufzuschreiben. Im Laufe der Zeit vergisst man viele Dinge, daher möchte ich meine Erinnerungen literarisch festhalten. Es wird keine klassische Autobiografie sein, sondern eine Sammlung von Episoden aus meinem Leben. Obwohl ich lieber literarische Texte verfasse, habe ich in letzter Zeit aufgrund meiner Besorgnis über die politische Entwicklung drei kleine Essay-Bände veröffentlicht. Der erste trägt den Titel “Schäm dich Europa”, das zweite Buch beschäftigt sich mit dem Ukraine-Krieg, der mich persönlich betrifft, da ich viele Freunde habe, die aus Russland fliehen mussten, und solche, die in der Ukraine leben und unter den Auswirkungen des Krieges leiden. Das dritte Buch mit dem Titel “Was ist Flucht?” basiert auf meinen Erfahrungen in Bosnien im Mai dieses Jahres. Es untersucht die Bedeutung der Flucht für Einzelpersonen und die Auswirkungen auf die nächste Generation. Diese Essays sind neben meinem literarischen Schreiben eine Möglichkeit für mich, meine Anliegen zu vermitteln.
Donnerstag, 5. Oktober 19.30 Uhr
Lesung SUSANNE SCHOLL im ProKonTra Hohenems.