Wissen, Willen und viel Kondition

kontur / 28.03.2024 • 08:59 Uhr
Wissen, Willen und viel Kondition
Claudia Voit
schloss das Studium der Kommunikationswissenschaften sowie Kunstgeschichte an der Universität Wien ab. Danach absolvierte sie den Master-Studiengang Kunst- und Bild-­geschichte an der Humboldt-Universität in Berlin. Sie war ­Assistentin an der Temporären Kunsthalle Berlin und ­wissenschaftliche Mitarbeiterin im Kunsthaus Bregenz. Ab März 2016 war sie für das DOCK 20 verantwortlich. Im Jahr 2020 übernahm sie die Leitung der Abteilung Kultur in der ­Marktgemeinde Lustenau. Nun ist sie Vorständin der Kultur­abteilung im Amt der Vorarlberger Landesregierung.

Die Zahl der Politikerinnen und Politiker, die in den letzten rund 20 Jahren in ­Vorarlberg das Kulturressort innehatten, ist groß im ­Vergleich zu den zwei Per­sonen, nämlich Werner ­Grabher und Winfried Nußbaummüller, die die Kulturabteilung im Amt der Landesregierung leiteten. Claudia Voit übernimmt nun als neue Vorständin dieser Abteilung allerdings ­einen immensen Aufgabenbereich.

Kein Büro, kein Besprechungszimmer, der Ort unseres Treffens erscheint jedoch nur auf den ersten Blick ungewöhnlich. Abgesehen davon, dass das Ambiente in der ehemaligen Strickereihalle der Johann Hagen KG, diese Präsenz von Erwerbstätigkeit, Kreativität, Industriekultur und -geschichte inspirierend ist, verweist der Raum auch auf eine der bisherigen Tätigkeiten von Claudia Voit. Als ehemalige Kulturamtsleiterin der Marktgemeinde Lustenau war die Kunsthistorikerin unter anderem an der Konzepterstellung und dem Aufbau für das dort in wenigen Monaten zu eröffnende S-MAK zuständig.

Regional und global.

Der Name enthält die Begriffe Stickerei, ­Museum, Archiv und Kommunikation, womit bereits erklärt ist, dass es viel zu erfahren und viel zu erleben gibt. Musterbücher, Publikationen, Fotos, Textilien und Dokumente sind noch in Kisten verwahrt. Vorerst blicke ich auf Stickmaschinen verschiedener Art und auf ein Gerät, auf dem jede Menge Stoffteile in der Größe von Taschentüchern eingespannt sind. Schön versehen mit Blumenmotiven. Enziane sind dabei. Mit dem Alltagsrequisit hat man s­omit auch gerne auf die eigene Herkunft verwiesen oder auf eine­ Vorliebe für den alpinen Raum. Inwieweit Lustenau im globalen Handel eine Rolle gespielt hat oder immer noch spielt, wird im ­S-MAK ab Herbst dieses Jahres erzählt.

Wissen, Willen und viel Kondition
Das DOCK 20 konnte unter Claudia Voit als Raum für eitgenössische Kunst etabliert werden.

Stickereiexporte von Lustenau nach Nigeria sind jedenfalls legendär und werden im Vorarlberg Museum in Bregenz thematisiert. Die jahrelang diskutierte Errichtung eines Industriemuseums des Landes liegt allerdings auf Eis. Vielleicht wird Claudia Voit in ihrer neuen Funktion als Vorständin der Kulturabteilung im Amt der ­Landesregierung damit konfrontiert. Vordergründig wird ein solches Unternehmen wohl kein Thema sein, es gibt somit das ­S-MAK und viel zu tun für die Kunsthistorikerin, die nach dem Studium in Wien und Berlin auch zahlreiche Ausstellungen verantwortet hat ­sowie als Kunsteinkäuferin im Auftrag des Landes tätig war.

Faire Bezahlung. Berührungspunkte mit der von Jänner 2013 bis 2024 von Winfried Nußbaummüller geleiteten Kulturabteilung im Amt der Landesregierung gab es somit bereits viele. Die Chance, sich für die Leitung zu bewerben, gibt es nicht oft, aber die Aufgaben haben sie selbstverständlich auch inhaltlich gereizt. „Ich arbeite gerne in einer Phase, in der man etwas auf den Weg bringt, ich bringe gerne unterschiedliche Akteure zusammen und habe die Ausdauer, langfristige Projekte auf die Schienen zu bringen.“ Diese Fähigkeiten wird sie brauchen. Dass sie sich erst einarbeiten bzw. kundig machen muss, diese Bemerkung, die in Gesprächen mit Menschen in neuer Funktion oft wahrzunehmen ist, hört man von ihr jedenfalls nicht. ­Einiges ist ihr zudem längst geläufig, denn an dem Strategiepapier, das von den Verantwortlichen in der Kulturabteilung des Landes in Form von drei ­Büchern jüngst präsentiert wurde, hat sie mitgearbeitet. Der Prozess sei kein linearer gewesen, erklärt sie, man habe formuliert, was einen hohen Stellenwert hat, das aber so offen, dass sich daraus verschiedene Schwerpunkte ableiten lassen. Einfach lässt es sich so erklären, dass sie im Auftrag der Regierung handelt. Wie die im Regierungs­programm verankerten Aufträge umgesetzt werden, liege dann im Bereich der Verwaltung. In der aktuellen Strategie ist beispielsweise festgelegt, dass Fair Pay umgesetzt werden soll.

Bewertung der Qualität.

Es sei an dieser Stelle erläutert, dass die Installierung der Kunstkommissionen in den Sparten Musik, darstellende Kunst, bildende und angewandte Kunst, Film, Literatur, Landes­kunde und kulturelles Erbe sowie Kunst und Bau mit von der Regierung bestellten Mitgliedern in Vorarlberg im Kulturförderungsgesetz verankert ist. Die Experten haben die Qualität der in den Anträgen beschriebenen Projekte und Arbeiten zu bewerten und eine Empfehlung abzugeben. Als Vorsitzende selbst auch stimmberechtigt zu sein, erachtet Claudia Voit als angemessen.

Vor knapp einem Jahr wurde die von einer Forschungsgruppe der FH Vorarlberg erstellte Studie über Einkommensverhältnisse Kunstschaffender im Land präsentiert. Sie dokumentiert die Armutsgefährdung von Künstlerinnen und Künstlern in Vorarlberg. Die Gründe sind komplex, liegen definitiv aber auch an zu niedrigen Gagen.

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Das S-MAK, geleitet von einem Team mit Daniela Fetz-Mages, wird im Herbst eröffnet.

Vielschichtige Thematik.

Fair Pay – als Begriff vielbenutzt und zu übersetzen mit gerechter Bezahlung –, müsste sich an sich sofort umsetzen lassen, denn wer will offensichtlich von unfairer Bezahlung profitieren? Um die Frage zu beantworten, verweist Claudia Voit auf die Vielschichtigkeit der Thematik. Denn bei Einzelprojekten ist das Land nie alleiniger Förderungsgeber. Je nachdem, wo das Projekt angesiedelt ist, gehen die Gemeinden und der Bund mit. Eine Förderzusage beziehe sich selten auf einzelne Posten innerhalb des Finanzplanes. Die Kommissionen hätten in den letzten Jahren verstärkt zu empfehlen versucht, wofür der Betrag aufgewendet wird. Beispielsweise für Honorare. Dann könne es aber passieren, dass die Antragstellerin oder der Antragsteller auf das eigene Honorar verzichtet und damit etwa den Transport bezahlt, damit das Projekt überhaupt verwirklicht werden kann. Ein Projekt abzulehnen, weil man beim Blick in den Finanzplan sieht, dass die Mitwirkenden nicht fair bezahlt werden können, erachtet Voit für diskutierbar, auch wenn damit die Realisierung behindert bzw. verhindert wird und auch wenn das mitunter schmerzt. Zu den im Gespräch erörterten Fakten zählt es auch, dass Antragstellerinnen und Antragsteller das eigene Honorar mitunter gering ansetzen. Erhellend ist auch der Verweis der Kunsthistorikerin darauf, dass Gagen für Musikerinnen und Musiker eine Selbstverständlichkeit sind, dass sie für Künstlerinnen und Künstler, die an der Gestaltung von Ausstellungen ihrer Werke mitgewirkt haben, aber nicht grundsätzlich üblich waren. „In der Vergangenheit wurde oft damit argumentiert, dass eine Ausstellung in einem renommierten Haus den Marktwert einer Künstlerin oder eines Künstlers erhöht und das sei Honorar genug.“ Angesichts der Sachlage, dass es bildende Kunst gibt, die nicht darauf angelegt ist, verkauft zu werden, stelle sich die Frage, wie die Künstlerinnen und Künstler solcher ­Werke ihren Lebensunterhalt generieren.

„Es gibt im bildenden Bereich nur eine Handvoll Künstlerinnen und Künstler, die von ihren Arbeiten leben können. Ich sehe einen großen Teil der Verantwortung des Landes auch darin, Bewusstsein für diese Lebensbedingungen zu schaffen.“ Eine wichtige Aufgabe werde es somit sein, sich die erwähnten Förderungskorridore genau anzusehen. Ihre Devise lautet, dass Profis selbstverständlich entsprechend fair zu bezahlen sind und dass es für Aufgaben, die ehrenamtlich übernommen werden können, professionelle Strukturen braucht. So, dass eine ehrenamtliche Aktivität für jene, die sich dafür interessieren, attraktiv sein kann.

Kulturstrategie an der Ziellinie. Die Arbeit von Claudia Voit als Leiterin des Kulturamtes in Lustenau wird berechtigterweise mit dem Programm im DOCK 20 in Verbindung gebracht. Am aus­gebauten Ort der ehemaligen Galerie Hollenstein wird die Begegnung mit zeitgenössischer bildender Kunst oder interdisziplinär ­angelegten Formaten möglich gemacht. Die Werke der Malerin ­Stephanie Hollenstein (1886–1944) lagern in einem Schaudepot, der schriftliche Nachlass ist im Archiv. Sie habe in Lustenau Offenheit erfahren und Freiräume gehabt, erzählt sie. Ihr drittes Projekt neben dem S-MAK und dem DOCK 20 ist die Kulturstrategie in der Marktgemeinde. Sie wird im Sommer finalisiert, Claudia Voit wird sie nicht mehr über die Ziellinie bringen, aber ihre Fähigkeit ist ­darin dokumentiert.

Text: Christa Dietrich

Fotos: Beate Rhomberg, Lukas Hämmerle

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