Beklemmende Wandlung eines Müllerburschen bei der Schubertiade

Der Tenor Martin Mitterrutzner fasziniert mit der „Schönen Müllerin“ in Schwarzenberg.
Schwarzenberg Die Tiroler sind da: Nachdem bei den Bregenzer Festspielen heuer vier ehemalige Wiltener Sängerknaben aufgetreten sind (darunter der umwerfende David Kerber in „Eugen Onegin“), hat die Schubertiade nach Andrè Schuen für die „Winterreise“ nun mit Martin Mitterrutzner ebenfalls einen Tiroler Sänger engagiert. Mitterrutzner ist ein junger lyrischer Tenor, der von Brigitte Fassbaender ausgebildet wurde und vor allem als Mozart-Sänger, aber auch als Liedinterpret international gefragt ist. 2016 hat er bei der Schubertiade einen ganzen Abend mit Schubert-Liedern gesungen, schon damals von Gerold Huber am Klavier begleitet. Nun trat er hier zum ersten Mal mit einem Liederzyklus vor das Publikum, der „Schönen Müllerin“.
Unglücklicher Müllerbursche
Dieses unheimliche Werk, das Schubert z. T. während eines Krankenhausaufenthaltes wegen seiner Syphilis komponiert hat, kippt von der unbeschwerten Fröhlichkeit des Anfangs in beängstigende Visionen um und endet schließlich mit dem Tod des unglücklichen Müllerburschen. Der erste Teil, als der Protagonist noch glücklich verliebt ist, ist im Grunde viel schwieriger zu gestalten. Mitterrutzner legte den Müller als naiven, forschen Naturburschen an, sozusagen fit vom Schleppen der Mehlsäcke und gesund wie Vollkornbrot. „Das Wandern“ klingt vergnügt und optimistisch, mit fast metallischem Timbre in der Stimme. In „Danksagung an den Bach“ kommen erstmals klanglich weichere, fragende Töne auf, in „Ungeduld“ singt er „Dein ist mein Herz“ aber geradezu heldisch-schmetternd. Auch in „Tränenregen“ kommt nichts Doppelbödiges oder Unheimliches auf. Ganz überzeugte dieser erste Teil nicht, ein wenig zu eindimensional kam dieser Müllerbursch daher. Umso überraschender und packender dann die Wandlung im zweiten Teil, als mit dem Jäger ein Konkurrent auftritt und die grüne Farbe zum Symbol für den Liebesverlust und einen die ganze Welt ausfüllenden Schmerz wird. Das rasche „Jägerlied“ brachte überzeugend die unterdrückte Wut auf den Nebenbuhler zum Ausdruck – Martin Walser berichtet übrigens in seinem autobiographischen Roman „Ein springender Brunnen“, dass er dieses Lied als Bub, von seinem Vater am Klavier begleitet, gesungen habe. Nun wandelte sich Mitterrutzner zum liebeskranken Verzweifelten, wenn ihm etwa in „Die böse Farbe“ die ganze Welt durch das Grün verleidet wird und er mit fahlen, hohen Tönen wie einer wirkte, der tatsächlich darüber den Verstand verloren hat. Mitterrutzners Stimme wurde immer klangvoller, je mehr Leid sie auszudrücken hatte, blühte in “Der Müller und der Bach“ mit dem grausamen Bild der Englein, die sich die Flügel abschneiden, zu warmer Schönheit auf. Im abschließenden Wiegenlied des Baches dann ein faszinierendes, fein nuanciertes Wechselspiel zwischen der ergreifenden Verzweiflung des Müllerburschen und dem lockenden Werben des Baches. Stille im Publikum, dann herzlicher Applaus, keine Zugabe.
Worte mit Musik ausdrücken
Das alles wäre nicht möglich gewesen ohne den meisterlichen Gerold Huber am Klavier, der, wie es von einem Klavierbegleiter verlangt wird, tatsächlich Worte mit Musik ausdrücken kann, sei es lautmalerisch das Rauschen des Baches oder das Wehen des Windes, seien es die Seelenregungen des Müllerburschen. Eigentlich ein Paradox: Da erzählen einem zwei auf der Bühne, die sich wunderbar ergänzen und beflügeln, also ein ideales Paar, vom Scheitern einer Liebe. Ulrike Längle