Stalin, oder ein Diktator in der Jogginghose

Kultur / 17.02.2020 • 09:30 Uhr
Stalin, oder ein Diktator in der Jogginghose
Mit „Stalin“ von Gaston Salvatore thematisiert das Theater Konstanz Zeitgeschichtliches, aber auch die herausgeforderte Demokratie. THEATER/JANSEN

Es gibt ausreichend Grund, jetzt an das Werk des Dutschke-Freundes Gaston Salvatore zu erinnern.

Konstanz Die Gefährdung der Demokratie durch die Unterminierung wichtiger Voraussetzungen dieser Regierungsform lässt sich in Statistiken wie Umfragen bestätigen. Erschütternd dabei ist, dass es zudem auch in Mitteleuropa einen geringen Bevölkerungsanteil gibt, der autoritäre Systeme nicht gänzlich ablehnt. Insofern thematisiert das Theater Konstanz mit seiner aktuellen Stückwahl nicht nur Zeitgeschichtliches, sondern auch die herausgeforderte Demokratie.

Der Austausch oder die Kooperation über den Bodensee hinweg ist längst ein Thema. Jedenfalls lohnt sich der Blick auf Produktionen benachbarter Unternehmen. Und das, obwohl bei der aktuellen Premiere von “Stalin” auf der kleinen Bühne im Theater Konstanz die Frage auftaucht, ob das Eindampfen dieses Textes, den ältere Bühnenbeobachter in Österreich unweigerlich mit der gefeierten Inszenierung von George Tabori in Verbindung bringen, in der Tat ein zu befolgendes Gebot gegenwärtiger Aufführungsökonomie ist.

Herausforderndes Theater in der Bodenseeregion: Peter Cieslinski und Andreas Haase in „Stalin“ von Gaston Salvatore in Theater Konstanz.  <span class="copyright">Theater/Jansen </span>
Herausforderndes Theater in der Bodenseeregion: Peter Cieslinski und Andreas Haase in „Stalin“ von Gaston Salvatore in Theater Konstanz.  Theater/Jansen

Schmalspurig ist an der Arbeit des jungen deutschen Regiedebütantin Lorenz Leander Haas jedenfalls trotzdem nichts. Kaum ist nach dem Intro der Schablonenschreibtisch weggeräumt und die stumme Figur mit unverkennbarem Schnauzbart und Uniform abgegangen, befinden wir uns nicht mehr in den frühen 1950er-Jahren, sondern in einer fiktiven Gegenwart. Der Diktator, der da einst wie Stalin einen Schauspieler nach einer “König Lear”-Aufführung noch im Bühnenkostüm zu sich auf die Datscha holen lässt, trägt Jogginghose, Turnschuhe und die Orden als dekoratives Muster auf T-Shirt und Blousonjacke. Nach und nach offenbart die Ausstattung von Andreas L. Mayer die Zeichen einer Schreckensherrschaft. An Raumteilern hängen entweder grelle Verhörleuchten oder man erkennt die Einschusslöcher von Hinrichtungen an einer Holzwand, die ebenso viele Blutspuren trägt wie die immer wieder umgeschlichteten Stühle. Einmal ist es der Diktator, der die Reihung oder Stapelung derselben vornimmt, einmal ist es der Schauspieler. Dass der Untertan in diesem grausamen Spiel, das aus Salvatores nicht nur positiv rezipiertem Gesamtwerk heraussticht, auch einmal die Oberhand gewinnt, ist choreografisch durchgetaktet und kein banaler Regieeinfall. Lorenz Leander Haas gibt ein rasches Tempo vor und die beiden Akteure folgen ihm, wenn sie einander wie Raubkatzen umschleichen.

Wien ein Thriller

Dabei sind das im Grunde alles Bausteine eines starken Thrillers. Die Verhörmechanik hat der kluge Salvatore (1941-2015), der in der deutschen Studentenbewegung als Freund von Rudi Dutschke in der ersten Reihe mitmischte oder mit Hans Magnus Enzensberger eine Zeitschrift herausgab, zu einem schönen Puzzle für Bildungsbürger gebaut. Itsik Sager, der Schauspieler, soll die Rollen zwischen Narr und König im Shakespeare-Drama erörtern. Die Positionen werden getauscht. Andreas Haase (Stalin) und Peter Cieslinski (Sager) spielen feinnervig. Sager gerät nicht unversehens in eine Falle, aber es wird klar, dass in einem System des Misstrauens schon ein halber Satz den Unterschied zwischen einem Aufrichtigen und einen Spitzel ausmachen kann.

Rassimus und Antisemitismus

Noch bevor er erfährt, dass der eigene Sohn angeblich an Herzversagen verstorben ist, öffnet sich quasi das Fenster zu einem weiteren Thema, dem Antisemitismus. Stalins realen Terror gegen Juden mit den heutigen rassistischen und antisemitisch motivierten Anschlägen in ein Bild zu fassen, ist eine starke Leistung von Regie und Schauspiel, die das Premierenpublikum am Samstagabend mit viel Applaus bedachte.

Nächste Aufführung von “Stalin” im Theater Konstanz am 19. Februar (Dauer: knapp 90 Minuten), das Stück bleibt bis Ende März auf dem Spielplan: theaterkonstanz.de