Walter Fink

Kommentar

Walter Fink

Mir fehlt die Kunst

Kultur / 26.04.2020 • 10:29 Uhr

Das Leben ist schwer geworden in diesen Zeiten. Fast alles, was wir bisher als selbstverständlich genommen haben, fehlt uns nun. Für viele bricht auch die Existenz zusammen, Verlust der Arbeit, traumatisierende Verhältnisse zu Hause, keine Aussicht auf Verbesserungen. Für manche gibt es medizinische Probleme, da die Krankenhäuser für Normalpatienten zurückgefahren wurden, um für die Pandemie gerüstet zu sein. Niemand weiß, wie es wirklich weitergehen wird, niemand sieht, wie er aus dem Loch, in das er möglicherweise hineingefallen ist, wieder herauskommt. Keine hoffnungsvollen Worte weit und breit, bestenfalls vage Ankündigungen einer in den Sternen stehenden Verbesserung.

Neben vielem anderen hat es die Kunst und Kultur ganz besonders erwischt. Alle Veranstaltungen, Aufführungen, Ausstellungen, Präsentationen, Gespräche, Lesungen, Diskussionen, Vorträge, was auch immer, wurde abgesagt. Künstler stehen vor dem Nichts. Fast alle sind mit ihren Angeboten ins Netz ausgewichen, Fernsehsender bieten ausgewählte Theaterstücke, Opern oder Konzerte an, Museen führen virtuell durch ihre wunderbaren Exponate, ebenso bieten kleine, alternative Gruppen ihre Angebote über Internet an. Noch nie gab es so viel hochrangige Kultur im Netz, man könnte den ganzen Tag besondere Kunst genießen.

Ich will nicht der virtuellen, sondern der analogen Kunst nahe sein, will sie von allen Seiten sehen und spüren.

Man könnte – ich kann es leider nicht. Ich bin noch kein Kind der Internetgeneration, die sich ihre Angebote aus dem Netz holt. Ich brauche den direkten Kontakt, ich will Schauspieler auf der Bühne sehen und hören, will unter Gleichgesinnten sitzen und mich über ein Stück freuen oder auch ärgern. Ich will im Konzertsaal die Instrumente nicht nur hören, sondern die Künstler an ihnen auch sehen, ich will in einer Ausstellung die Skulpturen nicht nur betrachten, ich will sie auch haptisch erfassen, will sie angreifen und sogar bei Bildern überkommt mich – verbotenerweise – das Bedürfnis, das Öl auf der Leinwand zu betasten. Einfach gesagt, ich will nicht der virtuellen, sondern der analogen Kunst nahe sein, will sie von allen Seiten sehen und spüren. Egal, welche Art von Kunst das ist – ich freue mich schon auf die Zeit, wo wir wieder irgendwo bei einem künstlerischen Anlass stehen und uns unterhalten können. Denn das ist es ja nicht zuletzt, was mir fehlt: der Kontakt mit jenen Menschen, die ähnlich fühlen und denken. So freue ich mich über jede Lockerung und über jede Möglichkeit, wieder mit Menschen in ein Gespräch zu kommen, das nicht von der Pandemie bestimmt ist. Wir sind, so hoffe ich, auf gutem Weg.

Walter Fink ist pensionierter Kulturchef des ORF Vorarlberg.