Das schlechte Gewissen der Musikszene

Kultur / 01.06.2020 • 09:00 Uhr
Das schlechte Gewissen der Musikszene
Guntram Simma ist einer von der unbequemen Sorte, der stets den geraden Weg wählt.

Der Gründer des Jugendsinfonieorchesters Dornbirn mischt heute noch das heimische Konzertleben auf.

DORNBIRN Mit seiner Meinung hat er nie hinterm Berg gehalten, damals nicht und heute schon gar nicht. Guntram Simma ist einer von der unbequemen Sorte, der stets den geraden Weg wählt. Der Pensionist ist heute noch als Dirigent seines „Collegium Instrumentale“, als Pädagoge und vielfältig vernetzter Ratgeber und Kritiker in der Musikszene des Landes tätig. 

Bedeutet die Coronakrise aus Ihrer Sicht eine Prüfung oder auch eine Chance?

Die Coronakrise ist eine schlimme Prüfung. Die Ausbeutung der Erde, bedingt durch den Hyperkonsum und die gnadenlose Raffgier, ist seit Jahrzehnten bekannt, wird von völlig gewissenlosen Politikern, Managern oder Verschwörungstheoretikern aber einfach ignoriert.  Wir müssen ganz radikal umdenken, möchten wir die Welt retten. Als unbeirrbarer Optimist glaube ich, dass die Coronakrise die große Chance ist, unser Wohlstandsmodell jenseits von Wachstumswahn gründlich zu überdenken und auch zu ändern.

Was haben Sie durch die Einschränkungen der letzten Wochen am meisten vermisst?

Am meisten vermisst habe ich neben den sozialen Kontakten mein Orchester, das Absagen von drei großen Konzerten und zwei Orchestermessen hinnehmen musste. Dafür habe ich mein Klavierspiel mehr aktiviert und eine Vortragsreihe über Beethovens Klaviersonaten vorbereitet, die ich mit Christina Stefanon und Martin Gallez gemeinsam gestalten werde.

Würden Sie sich wünschen, dass durch diese Krise auch die oft etwas überhitzt wirkende Kulturszene des Landes auf ein Normalmaß zurückgefahren wird?

SIMMA Natürlich muss Kulturschaffenden, die wirklich hart betroffen sind, geholfen werden. Ich kann den Aufschrei der Künstler aber nicht zur Gänze verstehen. Bei Sparmaßnahmen, die unweigerlich auf die Krise folgen werden, würde ich die Forderungen etwas bescheidener ausdrücken. Man sollte nie vergessen, dass es zum Beispiel weltweit nur in Österreich eine solch dichte und öffentlich finanzierte Musikschulszene gibt. Das ist für uns einfach eine Selbstverständlichkeit.                                                                                                         

Welchen Stellenwert besitzt die Kultur bei der Bevölkerung?

SIMMA Die Hochkultur wird heute nur von einem geringen Prozentsatz der Bevölkerung wahrgenommen. Da stellt sich doch schon seit vielen Jahren auch die Frage, ob das kulturelle Angebot in Vorarlberg nicht zu übermäßig ist. Das betrifft auch die Ausbildung an Hochschulen.  In Deutschland werden jährlich 500 Pianisten ausgebildet, aber nur 20 können davon leben. Im zehnmal größeren Deutschland gibt es beim Musik-Bundeswettbewerb 2000 Teilnehmer, in Österreich 1000. Dies sollte doch einmal ernsthaft hinterfragt werden. Ich habe es zu meinen wichtigsten Aufgaben gezählt, junge Menschen für ein Musikstudium besonders zu fördern oder davon abzuraten. Da hat es oftmals viel Unverständnis und Tränen gegeben.

Helfen Sie auch Musikern, die derzeit um ihre Existenz kämpfen, bei der Überwindung bürokratischer Hürden, damit sie die von der Politik zugesagten Unterstützungen bekommen?

SIMMA Ich habe sehr vielen, vor allem auch ausländischen Musikern zu einer Existenz verholfen und tue dies noch heute, zuletzt Gabor Kozma, meinem Nachfolger als Leiter des Vorarlberger Madrigalchores. Ich habe derzeit fünf weitere wirklich interessierte und geschickte Dirigierschüler. Allerdings kann ich fast nur die Schlagtechnik vermitteln. Arturo Toscanini meinte einmal: „Dirigieren kann man nicht lernen, Schlagtechnik aber jeder Esel!“

Was raten Sie jungen Sängern, Dirigenten und Musikern, um weiterzukommen?

SIMMA Ich rat ihnen, professionell zu sein und immer an der Verbesserung der eigenen Fähigkeiten zu arbeiten. Wirkliche Profis erwarten von einem Dirigenten oder Lehrer ernstzunehmende Anregungen und Kritik. Wer dies nicht verträgt, wird kaum eine künstlerische Entwicklung machen. Dazu wäre noch zu bemerken, dass Kulturkritik in unserem Ländle verpönt ist und immer als Nestbeschmutzung oder Neid abgetan wird. Ich fühle mich jedoch verantwortlich für die Kunst, für die ich immer noch eine unglaubliche Demut und Hingabe empfinde.

Wer hat eigentlich Ihnen das Dirigieren beigebracht?

SIMMA Ich habe mich sehr früh für das Dirigieren interessiert und schon im Gymnasium ein Schülerorchester geleitet. Am Konservatorium Innsbruck wurde ich zum Assistenten des Orchesterleiters erkoren. Bei meinen Anfängen als Dirigent verspürte ich alsbald Defizite, die ich in Kursen auszumerzen suchte. Sehr hilfreich waren mir Tipps von berühmten Dirigenten wie Kurt Masur, die ich bei ihren Gastspielen in Dornbirn im ehemaligen Parkhotel aufsuchte.

Als Dornbirner Musikschul-Direktor haben Sie 1979 die verschlafene städtische Kultur mit Ihren jungen „Simmaphonikern“ aufgeweckt. Wäre eine solche Erfolgsgeschichte heute wiederholbar?

SIMMA Ein solcher Erfolg ist natürlich wieder möglich, wenn ein Dirigent ein Kinder- und Musiknarr ist und eben auch dirigieren kann. 

Welche Wünsche haben Sie für die Zukunft an die Kulturpolitik?

SIMMA Nicht nur an die Kulturpolitik habe ich den Wunsch, dass vor Beschlüssen wirklich Fachleute zu Rate gezogen werden, um Fehlentscheidungen wie in der letzten Zeit zu vermeiden. Ich möchte dazu ein Zitat des ehemaligen Bregenzer Festspiel-Intendanten Alfred Wopman in Erinnerung rufen: „Wenn man an der Kunst spart, spart man das Gehirn weg.“ Fritz Jurmann