Verzögerungstaktik
Das Kunstmuseum in Lindau lockt heuer mit Arbeiten von Paula Modersohn-Becker. Nach Blockbuster-Ausstellungen und weit über 50.000 Besuchern bei namhaften Vertretern der Moderne (von Picasso über Chagall und Klee bis Macke) ist nun endlich eine Frau an der Reihe. Eine, die sich in einer Männerdomäne, als die die Malerei damals noch galt, durchgesetzt hat. Paula Modersohn-Becker (1876-1907) ist leider früh gestorben. Ärztepfusch oder einfach trauriges Schicksal – das Wochenbett nach der schweren Geburt des ersten Kindes hat sie nicht überlebt. Sie hat ein großartiges, emanzipiertes Werk hinterlassen. Noch nützt die Ausstellung den Österreichern allerdings wenig, erst in zwei Wochen öffnen sich die Grenzbalken nach Deutschland.
Die Lindauer haben es gut, nach der Covid19-bedingten Verschiebung des Ausstellungsbeginns ist das Museum seit Mitte Mai geöffnet. Während sich viele unserer Museumsleiter der Frühjahrsmüdigkeit hingeben, sperrte man dort auf, sobald es erlaubt war. In Vorarlberg hat immerhin die inatura sofort wieder losgelegt, auch weitere Dornbirner Museen und sogar einige zum Teil ehrenamtlich geführte Häuser ließen die Menschen nicht länger darben als es das Gesetz vorsah, aber im großen Vorarlberg Museum setzt man noch auf Verzögerungstaktik und Kurzarbeit, obwohl die Ticketerlöse, die während der Schließung ausbleiben, das Gesamtbudget nur zu einem geringen Teil schmälern.
Im Museum sowie im ebenso zur Kulturhäuser Betriebsgesellschaft zählenden Kunsthaus konnten die Verantwortlichen nun dazu bewegt werden, wenigstens nicht, wie beabsichtigt, bis Juli zuzuwarten. Im KUB änderte man das Programm und zeigt ab dem kommenden Wochenende Arbeiten internationaler Künstler, die sich auf die Pandemie beziehen. Man darf gespannt sein, ob die Komplexität eines solchen Themas bereits erfasst werden kann. Wer in einer der vielen systemrelevanten Branchen tätig ist und seit März seine 12-Stunden-Arbeitstage gar nicht mehr zählen kann, hat wenig Lust, sich mit Menschen zu beschäftigen, die sich langweilten. Wir wissen nicht, ob in Europa eine zweite Covid19-Welle kommt, aber wer nicht völlig naiv ist, weiß, dass uns bald eine zweite Kündigungswelle überrollt. Apropos naiv: Das banale Nachstellen bekannter Meisterwerke (Klimts „Kuss“, Vermeers „Mädchen mit dem Perlenohrgehänge“ etc.), das von großen internationalen Kunstinstitutionen sogar noch prämiert wird, geht bestenfalls als Beschäftigung für Menschen unter zwölf Jahren durch. Andernfalls müsste man überprüfen, ob Covid19 die Denkfähigkeit trübt.
„Wer in einer der vielen systemrelevanten Branchen tätig ist, hat wenig Lust, sich mit Menschen zu beschäftigen, die sich langweilten.“
Christa Dietrich
christa.dietrich@vn.at
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