Beim Europaforum in Lech eingeschneit

Kultur / 05.06.2020 • 17:04 Uhr
Was. Mut. Macht. Bemerkungen und BemerkenswertesWolfgang Schüssel, Ecowin, 420 Seiten

Was. Mut. Macht. Bemerkungen und Bemerkenswertes

Wolfgang Schüssel,
Ecowin, 420 Seiten

Ein persönliches Buch von Ex-Kanzler Schüssel zum 75. Geburtstag.

Wien Ex-Kanzler und -ÖVP-Chef Wolfgang Schüssel überrascht immer wieder. Als er im Februar 2000 eine schwarz-blaue Koalition bildete, beispielsweise. Oder jetzt mit einem Buch, das er zu seinem 75. Geburtstag am kommenden Sonntag geschrieben hat. Was heißt Buch? Mit 420 Seiten ist es fast schon ein Wälzer geworden. Schüssel liefert aber nicht das, was man erwarten könnte: Eingehende Auseinandersetzungen mit der Innenpolitik, ihren Akteuren und seinen Nachfolgern etwa, deren jüngster Sebastian Kurz ist. Es handle sich vielmehr um „ein Kaleidoskop von Gedanken, Begegnungen, Aphorismen und Anekdoten“, wie er selbst betont. Aufgelockert ist das Ganze durch Zeichnungen aus eigener Feder. Vom Tod seiner Mutter Elfriede berichtet Schüssel genauso wie von der Geburt seiner Enkelin Elsa.  

Was auffällt: Immer und immer wieder geht es um Europa. Als Wirtschaftsminister war Schüssel schon an den EU-Beitrittsverhandlungen beteiligt. Zur Vorbereitung habe man das Europaforum in Lech gegründet, erinnert er sich in einem eigenen Beitrag. Idee: An diesem Ort fernab aller Hauptstädte sollte eine Plattform für einen informellen Austausch maßgeblicher Persönlichkeiten gebildet werden. Beim Treffen im März 1994 waren äußere Umstände hilfreich: „Wir waren eingeschneit, hatten also beste Voraussetzungen für intensive Gespräche.“ Das Europaforum etablierte sich, regelmäßig kamen Präsidenten und Regierungschefs auf den Arlberg.   

Was die Zukunft der europäischen Integration angeht, ist Schüssel gar nicht so skeptisch wie viele andere Beobachter: Das Erstarken EU-kritischer Parteien und extremer Bewegungen sei eher ein Weckruf für die Mitte der Gesellschaft. Die wachsende Beteiligung bei Europawahlen, die steigende Zustimmung der Bevölkerung zur Union, ja auch das Engagement junger Aktivisten für den Klimaschutz sei „Ausdruck der ungebrochenen Anziehungskraft und Standhaftigkeit Europas“. 

Ganz links liegen lässt Schüssel, Kanzler von Februar 2000 bis Jänner 2007, die gegenwärtige Innenpolitik natürlich nicht. An Sebastian Kurz schätzt er Ernst und Hingabe „an eine sicherlich nicht leichte Aufgabe“. Die türkis-grüne Koalition bezeichnet er als spannendes Experiment, dem er von Herzen jeden Erfolg wünsche. Wobei entscheidend sein werde, „ob und wie der Spagat zwischen Standorterhalt und Pandemiebewältigung, Steuerentlastung und Schuldenabbau, marktwirtschaftlichen Reformen und Bewältigung der Klimakrise gelingt“. JOH