Kathrin Stainer-Hämmerle

Kommentar

Kathrin Stainer-Hämmerle

Zwischen den Stühlen

Politik / 19.08.2025 • 13:11 Uhr

Die Neos sitzen zwischen allen Stühlen und es geht ihnen gut damit. Zufriedenstellende Umfrage- und Imagewerte sowie der Rekord mit 4000 Mitgliedern haben Parteichefin Beate Meinl-Reisinger zusätzlich Energie und Schwung gegeben. Auf der internationalen Bühne hat sie als Außenministerin schnell Tritt gefasst, auch wenn sie als erste Liberale im Amt zu spät über interne Skandale und Missstände informiert wurde. Bilder mit US-Kollege Marco Rubio machen das in der Außenwirkung locker wett. Eine Vertreterin Österreichs strahlt mit den Mächtigsten der Welt um die Wette in Zeiten, wo uns die Weltbühne mehr Sorgen macht als alle innenpolitischen Querelen.

Aber Meinl-Reisinger sitzt nicht nur auf einem Stuhl am Regierungstisch. Sie ist auch Parteichefin und als solche hatte sie im ORF-Sommergespräch bei Klaus Webhofer doch einiges zu erklären. Vor allem wie es ihr gelingt, ihren Parlamentsklub bei heiklen Themen wie Messenger-Überwachung, Stopp des Familiennachzuges, Erlaubnis der Mitverwendung von Kabinettsmitarbeitern für Social Media Posts und wohl auch Videoüberwachung öffentlicher Plätze nach Vorstellung von Innenminister Karner auf Linie zu halten. Für wenige Monate Regierungsbeteiligung bereits eine lange Liste an Beschlüssen, bei denen liberale Grundsätze stark verwässert wurden. Das Argument des ehemaligen Vizekanzlers Werner Kogler, dass ohne den eigenen Einfluss alles noch viel schlimmer hätte kommen können, wurde bei den Wahlen von Grünwählern jedenfalls nicht belohnt.

Meinl-Reisinger sitzt nicht nur am Regierungstisch. Sie ist auch Parteichefin und hat als solche einiges zu erklären.

Doch die Neos haben noch Zeit zu liefern statt nur zu fordern, wie es für eine Oppositionspartei üblich ist. Sie wollen Reformmotor sein für eine Konstellation, die sich einst Große Koalition nannte. ÖVP und SPÖ haben sich über Jahrzehnte aneinander abgearbeitet, auch wenn das persönliche Verhältnis zwischen Kanzler Stocker und Vizekanzler Babler besser ist als das zwischen Sebastian Kurz und Pamela Rendi-Wagner. Die Rückkehr der Sozialpartnerschaft schließt allerdings die Neos aus, wie sie schmerzhaft beim Beschluss der Trinkgeldpauschale erfahren mussten.

Dennoch ist es ein Vorteil, dass die Liberalen inhaltlich zwischen den Stühlen ihrer Partner sitzen. Wirtschaftspolitisch näher bei der ÖVP im Vertrauen auf den freien Markt, etwa wenn es um die Bekämpfung der Inflation geht. Bildungspolitisch näher bei der SPÖ mit der Idee eines radikalen Umbaus der Schule. Doch hier scheint den Neos – trotz ihres Bildungsministers Christoph Wiederkehr – der Reformmut verlassen zu haben. Weder die gemeinsame Schule der 10- bis 14-Jährigen noch die Abkehr von 50-Minuten-Stunden in traditioneller Fächereinteilung wurden von den Liberalen auf den Tisch gelegt. Hier sitzen die Neos auf ihren Stühlen zwischen vergangenen Forderungen und aktuellen Spielräumen.

Von der kleinsten Koalitionspartei kann niemand maximale Durchsetzungskraft erwarten. Doch zumindest bei der Erhöhung des Pensionsantrittsalters, bei der Verwaltungsreform und auch bei der Bildung erwarten sich ihre Wähler und Funktionäre Leuchttürme. Denn in den Ländern ist das liberale Leben nach wie vor schwer. Mit Ausnahme von Wien sind sie weit von Regierungsverantwortung entfernt und in Kärnten, Burgenland und Salzburg gar in der außerparlamentarischen Opposition. Beate Meinl-Reisinger überstrahlt mit ihrer Eloquenz souverän die Defizite in ihrer Partei und die erforderlichen inhaltlichen Verbiegungen zwischen allen Stühlen. Noch.