Als Schreiben eine wichtige Kulturtechnik war

Kultur / 20.06.2020 • 16:00 Uhr
Als Schreiben eine wichtige Kulturtechnik war
Schönschreibblatt, entstanden um 1800 im Bregenzerwald. Vorarlberger Privatsammlung

Ein Schönschreibblatt aus dem Bregenzerwald dokumentiert auch die Pionierleistung von Maria Theresia.

Bezau Die meisten erinnern sich noch, die Fächer Schreiben, Lesen, Rechnen und Religion waren jene, in denen man in der Grundschule bewertet wurde. Vor der Erfindung der Schreibmaschine zählte auch die Schönschrift zu den wesentlichen Kulturtechniken, die Beherrschung von mehreren Schriftarten war wichtig für die Ausübung einer Reihe von Berufen. Ein Probeschriftblatt, wie das abgebildete, dokumentiert es augenscheinlich. Es befindet sich in einer Vorarlberger Privatsammlung und wurde, wie der Kunsthistoriker Tobias G. Natter erzählt, um 1800 im Bregenzerwald geschaffen. Es misst 17 Mal 21 Zentimeter und weist jene Schriften auf, also Antiqua oder Frakturschriften, die man beherrschen musste, wenn man sich beispielsweise als Schreiber bzw. in einem Amt zu bewerben hatte. Auch Lehrpersonen hatten diese Schriften zu kennen. Als Vorlage dienten in Vorarlberg interessanterweise meist religiöse Texte. Das Beispiel mit Moses ist deshalb repräsentativ. In der Schweiz mussten beispielsweise oft Texte politischen Inhalts abgefasst werden.

Fehlerlos

Wesentlich war auf jeden Fall, dass ein Schreiber die Schriften fehlerlos beherrschte, die Tinte erlaubt keinerlei Korrekturen. Das Schriftbild musste gerade sein, die Größe der Buchstaben sollte keine Abweichungen aufweisen. Ein solches Schriftblatt mit Illustrationen zu veredeln war durchaus üblich und verdeutlichte den hohen Wert dieser Kulturtechnik.

Schulpflicht

Dabei darf man nicht vergessen, dass das Blatt erst wenige Jahrzehnte nach der Einführung der Schulpflicht durch Maria Theresia entstand. Der Anteil der Analphabeten war hoch. Die regierende Erzherzogin erweist sich als Pionierin, sah sie doch die Bildung als wesentlichen Faktor für eine Weiterentwicklung in der Gesellschaft an. Bei ihren Untertanen stieß sie dabei nicht unbedingt auf Verständnis. Kinder wurden zu dieser Zeit als billige Arbeitskräfte eingesetzt und ausgenützt, ein verpflichtender Schulbesuch wurde in vielen Kreisen als hinderlich empfunden. Und in den Kommunen mussten mit der Schaffung von Räumen für den Unterricht und dem Einstellen von Lehrern erst einmal die Voraussetzungen dafür geschaffen werden.  Die langen Sommerferien waren im Übrigen ein Zugeständnis, sie sind daraus abzuleiten, dass in der bäuerlichen Gesellschaft Kinder als Erntehelfer dringend gebraucht wurden. Wenn man bedenkt, dass die verpflichtende Schulzeit damals immerhin schon sechs Jahre betrug, erkennt man die Fortschrittlichkeit von Maria Theresia.

Freilich wurde die Unterweisung in Religion als enorm wichtig erachtet, aber immerhin, das Lesen und Schreiben sowie einfaches Rechnen sollten die jungen Österreicher beherrschen. Dass es oft auch Pfarrer und lokale Politiker waren, die die Schulpflicht nicht ernst nahmen, steht auf einem anderen Blatt. Noch im 20. Jahrhundert durften Kinder aus sehr armen Familien in Vorarlberg weit über die Ferienzeit hinaus als Knechte und Mägde zu reichen Bauern geschickt werden.