Da wurde die Kirche zum Ballsaal

Arpeggione startete verspätet, dafür mit drei internationalen Top-Stars in die neue Saison.
HOHENEMS Corona hat auch Arpeggione nicht verschont und Kurator Irakli Gogibedaschwili schlaflose Nächte beschert. Er hat die ersten vier Konzerte des Kammerorchesters in den Herbst verschoben und das beliebte Open Air im Palasthof verlegt. Doch da gab es eine weitere Hürde. Trotz Sommerhitze am Samstag empfahlen die Wetterprognosen wegen drohender Gewitter am Abend wie so im Vorjahr die Verlegung des Konzertes in die Kirche St. Karl, wo dann gegen 20 Uhr prompt die ungetrübte Abendsonne ironisch durch die Fenster blinzelte. Vielleicht sollte man einmal den Wetterfrosch auswechseln?

Ungeachtet dieser Probleme ist das, was das Arpeggione-Orchester zu diesem Anlass präsentiert, etwas vom Besten, was man in 30 Jahren hier erlebt hat. Neben dem Orchester, das wie immer unter seinem Chef Robert Bokor besonders spielfreudig und kultiviert klingt, bringen drei Top-Solisten internationalen Starglanz in dieses „Fest der Sinne“. Da ist mit dem namhaften Russen Sergei Krylov zunächst ein Geigenvirtuose wie aus dem Bilderbuch am Werk. Er spielt das 5. Violinkonzert des Teufelsgeigers Niccolò Paganini und wie er so spinnenfingrig und völlig selbstvergessen dieses Hasardstück der Violinliteratur wie eine lockere Fingerübung und natürlich auswendig abschnurrt, hat er selbst etwas Diabolisches an sich. Die Anforderungen werden im Laufe der drei Sätze immer akrobatischer, mit atemberaubenden Läufen, Doppelgriffen, Trillern oder Spiccatos, ohne dass ihm dabei je die Luft ausginge. Krylov sorgt mit Bokors Hilfe aber auch dafür, dass bei so viel Technik die Musik nicht zu kurz kommt, hält im langsamen Satz berückend inne und sangliche und samtene Töne bereit. Störend allein der Übereifer mancher Besucher, die glauben, partout nach jedem Satz klatschen zu müssen. Krylov hat trotzdem bereitwilligst eine Zugabe parat, die letzte aus Paganinis 24 Capricen op. 1 für Solovioline mit einer Steigerung ins Undenkbare.
Geläufige Opernausschnitte
Nächster Glanzpunkt sind zwei weibliche Bühnenstars, die den zweiten Teil auch ganz ohne Kostüm und Kulisse zu einem glanzvollen Opernabend hochstilisieren. Es sind, trotz widersprüchlicher Angaben im Abendprogramm, die italienische Sopranistin Silvia Dalla Benetta und ihre aus Georgien stammende Mezzo-Kollegin Tamta Tarielashvili, die mit ihren dramatischen, tragenden Stimmen, ihrer Bühnenpräsenz und mühelosen Höhenflügen sechs zum Teil weniger bekannte Opernarien aus dem italienischen und französischen Repertoire zu Kostbarkeiten für das mitfiebernde Publikum machen. Besonderen Anklang finden dabei natürlich die geläufigen Opernausschnitte, die den Leuten im Ohr sind, etwa die Arie der Mimi aus Puccinis „La Bohème“, der Benetta schlichte jugendliche Leichtigkeit verleiht, oder die Seguidilla aus Bizets „Carmen“, bei der Tarielashvili ihre dunklen Töne hervorkehrt.
Das Orchester macht derweil gute Figur zu allem, gestaltet klangschön und mit Bedacht auf die Kirchenakustik die Ouvertüren zu Rossinis „La Cenerentola“ und Verdis „La forza del destino“ mit schönen Einlagen der jungen Solo-Klarinettistin sowie als Allzeit-Hit das Intermezzo sinfonico aus Mascagnis „Cavalleria Rusticana“. Auch die Begleitung des Geigers und der Gesangsdarbietungen gelingt dank Robert Bokors Opernerfahrung, der mit den Solisten atmet, makellos und nie zu vordergründig. Und dann passiert im berühmten Liebesduett der „Barcarole“ aus Offenbachs „Hoffmanns Erzählungen“ ein grober Aussetzer, der das Orchester ins Wanken bringt. Der kluge Bokor rettet, was zu retten ist. Er bügelt den Lapsus aber umgehend auch wieder aus, indem er das Stück als Zugabe wiederholt, diesmal ohne Makel. Die beiden „Grandes Dames“ aber nutzen die Gunst der Stunde und die gute Laune des Publikums und machen mit großräumigen Bewegungen im Mittelgang das Kirchenschiff glatt zum Ballsaal. Da gibt es kein Halten mehr – Standing Ovations. Fritz Jurmann
Nächstes Arpeggione-Konzert: 19. September, Palast Hohenems, 19.30 Uhr, „ Seelenträume“.