Ein Fest der Künstlerinnen

Eröffnungspremiere der besonderen Salzburger Festspiele erfüllt hohe Erwartungen.
Salzburg Kein Orchester-Furioso mit dem Agamemnon-Motiv zu Beginn, sondern ein Monolog der von Gewalt umgebenen und Gewalt erzeugenden Klytämnestra aus der „Orestie“. Diesen Eingriff in Libretto und Ablauf braucht es nicht, er betont jedoch die Tatsache, dass in der Atriden-Erzählung von Richard Strauss und Hugo von Hofmannsthal der Fokus auf drei Frauen gerichtet ist. 1909 wurde die Oper „Elektra“ uraufgeführt, bei den Salzburger Festspielen wurde sie erstmals im zweiten Jahrzehnt der 1920 beginnenden Geschichte realisiert. Ohne Neuinszenierung eines Strauss-Werkes wäre eine Jubiläums-Saison nicht denkbar, als Einakter durfte das Werk auch im harten Sommer der Covid19-Pandemie im Programm bleiben. An einem Ort, an dem logischerweise Fassungen aus dem Mozart-Repertoire mit vielen Strichen verpönt sind, wurde eine gekürzte Version von Mozarts „Cosi fan tutte“, musikalisch geleitet von Joana Mallwitz, risikobereit hinzugefügt.
Zum „Jedermann“ kommt eine Handke-Uraufführung. Wie tiefgreifend die Auseinandersetzung mit dem unter anderem politisch motivierten Selbstmord von Zdeněk Adamec letztlich ausfällt, das Programm der reduzierten Festspiele kommt nicht klein daher, man hat dafür mit rund 41 Millionen Euro aber auch ein relativ großes Budget.
Angenehme Distanz
Es soll angesichts des ambitionierten Unterfangens der Festspielleitung, zumindest einen Monat lang Aufführungen zu bieten, nicht zynisch wirken, doch die Distanz-Auflagen sind nicht nur lästig: Rasches Befüllen der Publikumsreihen, weil die Begrüßungsrituale der vermummten Promis wesentlich kürzer ausfallen als sonst, freier Blick auf die Bühne und in den hohen Orchestergraben der Felsenreitschule sowie rechts und links keinerlei Berührung mit kratzenden Anzügen oder Roben, unter denen champagnergetränkte Besucher bei hochsommerlichen Außentemperaturen schnell einmal dampfen. Der Mund-Nasen-Schutz darf kurz vor Beginn bis zum Schlussapplaus abgenommen werden, wer es aushält, soll ihn aufbehalten, lautet die Durchsage. So bequem sitzt man im Normalfall nicht einmal auf den sehr teuren Plätzen. Die kaufmännische Bilanz – noch sind nicht alle aufgelegten Karten abgesetzt – wird allerdings erst am Schluss gezogen.
Etwas ist neu
Und künstlerisch? Franz Welser-Möst dirigiert bei der ersten Premiere die Wiener Philharmoniker und erfüllt damit hohe Erwartungen. Die Salzburger Festspiele stehen nicht unbedingt für prägende Inszenierungen, aber für eine hervorragende Sängerbesetzung, die vom Pult aus entsprechend zur Wirkung zu bringen ist. Nach der „Salome“ vor zwei Jahren, die auch Regisseur Romeo Castellucci zum einmaligen Erlebnis machte, lag die Latte hoch. Und siehe da oder höre hin, etwas ist neu an dieser oft erlebten „Elektra“, und seien es die vielen Facetten der Hauptfigur, die akustisch noch wesentlich deutlicher werden als es Ausrine Stundyte zu spielen vermag, die es mit dem starken Orchester nicht als außer Rand und Band gebrachte Rächende aufnimmt, sondern in ihrem Leid. Mag es noch so viele großartige Elektra-Vorbilder geben, außerhalb sakraler Musik bringt dies wohl selten eine Stimme derart schön und klar zum Ausdruck. Familienaufstellungen bzw. die Psychoanalyse sind wesentliche Begriffe für die Inszenierung von Krzysztof Warlikowski. Wer sich ein wenig mit antiker Mythologie beschäftigt, weiß Bescheid, Vater Agamemnon, dessen Ermordung Elektra so rasen lässt, war alles andere als ein sanftes Lamm, die mordende Mutter hat selbst Grausames erfahren und nach deren Auslöschung ist Elektra tot, der als Mordwerkzeug gebrauchte Bruder Orest irr und Chrysothemis allein. Ihr hätte die Regie noch etwas mehr Aufmerksamkeit schenken können, aber immerhin, sich librettogetreu ein „Weiberschicksal“ mit Ehemann und Kindern zu ersehnen, ist nicht das, was Asmik Grigorian mit starkem Ausdruck und imponierender Stimmtechnik verdeutlicht. Die junge Frau im Minirock scheint in der Lage zu ein, über die Archaik, die im Wohnzimmerbühnenbild von Ausstatterin Malgorzata Szczesniak mit Wasserbassin, Blutflecken und Insektenschwärmen vorkommt, zu reflektieren. Orest ist nicht so weit, wie wohl Derek Welton mit seinem Bariton seine Schwestern ebenso gut ergänzt wie Tanja Ariane Baumgartner (Klytämnestra) mit ihrem Spannung einbringenden, farbenreichen Mezzo. Es ist eine „Elektra“-Produktion, die im besten Sinne beschäftigt.
Die Salzburger Festspiele dauern bis 30. August. “Elektra” steht bis 24. August auf dem Programm. (TV-Übertragung am 10. August, 22.30 Uhr, in ORF 2)