Schifffahrt mit Gustav Mahler

Kultur / 07.08.2020 • 17:54 Uhr
Der letzte SatzRobert Seethaler,Hanser,126 Seiten

Der letzte Satz

Robert Seethaler,

Hanser,

126 Seiten

Robert Seethaler hat ein Künstlerporträt entworfen.

Roman Frühjahr 1911. An Bord eines Transatlantik-Liners sitzt ein kranker Mann, schaut auf den Ozean und sieht sein Leben vorüberziehen. Es ist Gustav Mahler, der nach triumphalen Jahren in den USA nach Europa zurückkehrt. Der berühmte Komponist ist Protagonist von Robert Seethalers neuem Buch „Der letzte Satz“. Als Roman ist das mit 120 Textseiten recht schmal geratene Buch ausgeschildert, das in manchem eher an eine Novelle denken lässt – nicht nur, weil es manchmal an Thomas Manns Novelle „Der Tod in Venedig“ erinnert, die ausgerechnet 1911 entstanden ist. Es gibt auch bei Seethaler einen Buben, der in seiner sanften und doch insistierenden Zuwendung die Zuneigung des 50-jährigen Musikers gewinnt. Doch der zu Mahlers Betreuung abgestellte Schiffsjunge gleicht weniger Manns Tadzio als dem 17-jährigen Protagonisten Franz in Seethalers Erfolgsroman „Der Trafikant“ und dessen Vater-Sohn-Beziehung zu Sigmund Freud. Auch der Analytiker darf in „Der letzte Satz“ nicht fehlen. Ein Besuch Mahlers bei Freud im niederländischen Leiden ist historisch verbürgt.

„Der letzte Satz“ ist perfekt gemacht. Alles stimmt. Der einsame, kranke Mann als Hauptmotiv; die kurzen Intermezzi mit dem Schiffsjungen als Konfrontation mit der lebendigen Gegenwart; dazwischen die langen gedanklichen Abschweifungen zu Schlüsselmomenten: die verzehrende Liebe zu Alma Schindler, die Eifersucht auf Walter Gropius, dessen Liebesbrief an Alma ihm infolge einer falschen Anschrift in die Hände fiel; der Tod seiner geliebten Tochter, die künstlerischen Triumphe, die Intrigen an der von ihm geleiteten Wiener Staatsoper. Die Worte sind wohlgesetzt, die Formulierungen gut gewählt. Melancholie durchweht die Rückblicke, die eine Ahnung von der Lebensuntüchtigkeit des großen Künstlers vermitteln.

Gewisse Kälte

Und doch fehlt etwas: ein Überraschungsmoment, ein Störfaktor, eine Rauheit. Die glatt polierte Perfektion vermittelt eine gewisse Kälte, ähnlich den klammen Fingern Mahlers, der nicht mehr spürt, wenn er sich längst bewegen sollte, um nicht zu erfrieren. Als er zu Boden stürzt, kommen einige Matrosen, nehmen den Mann unter den Arm und tragen ihn wie eine Statue unter Deck. Einen Denkmalsturz hatte Seethaler aber nicht im Sinn. Eher den Beweis des eigenen Könnens. Der letzte Satz von „Der letzte Satz“? Der lautet: „Und das war gut, denn es war Zeit, zu gehen.“