Ein wahrer Sportsmann

Am 15. August 1920 schickte Hauptmann Otto Madlener ein Telegramm aus Swinemünde bei Stettin, in dem er seiner Familie die baldige Rückkehr aus der russischen Kriegsgefangenschaft ankündigte. Seine Frau Wilhelmine und die drei Kinder hatten ihn seit sechs Jahren nicht mehr gesehen. Er war am 1. August 1914 als Oberleutnant der Reserve eingerückt und an die serbische Front beordert worden. Bereits im Herbst wurde sein begeistert ausgezogenes Landsturmregiment von der traurigen Kriegsrealität eingeholt. „Schlechtes Wetter, Schnee, Kälte. Freilager ohne Zelte. Keine Decken. Erkrankungen. Erfrierungen! Trostlos“, notierte Madlener. Beim zweiten Angriff auf Serbien in September 1915 – diesmal wurden die österreichischen Truppen von deutschen unterstützt – wurde Madlener ausgezeichnet und zum Hauptmann befördert. Unmittelbar nach seiner Transferierung an die Ostfront geriet er im Oktober 1915 in russische Gefangenschaft. Drei Jahre verbrachte er nun in einem Offizierslager im ostsibirischen Tschita, ehe er im Juni ins westsibirische Tomsk verlegt wurde. Hier empfing ihn der Bregenzer Maler Rudolf Wacker, der in seinem Tagebuch vermerkte, dass „1000 Mannschaft und 200 Offiziere“ angekommen seien, darunter „Hauptm. d. Res. Madlener – der berühmte Athlet und Bergsteiger, prächtiger Mensch!“. Damit hatte Wacker seinen Leidensgenossen trefflich beschrieben. Madlener war vor dem Krieg der berühmteste Sportler Vorarlbergs; den Sportler, so wurde ihm später nachgerühmt, habe „der Mensch Madlener noch überragt“.
Geboren wurde Otto Madlener am 3. März 1879 in Lustenau als jüngstes der sechs Kinder des k.k. Zollwachekommissärs Michael Madlener aus Brederis und seiner Frau Agathe Hitzhaus aus Lochau. Die Kinder des Paares kamen an vier verschiedenen Dienstorten zur Welt: in Tisis, Hittisau, Lustenau und Lochau. Die laufende Versetzung der Beamten sollte möglichen Begünstigungen und befürchteter Korruption zu Ungunsten des Staates vorbeugen. Am Zollamt Unterhochsteg hatte der Zöllner seine Frau kennengelernt, deren Eltern in der Lochauer Parzelle Bäumle einen Bauernhof bewirtschafteten.
Otto Madlener wuchs aber in Bregenz auf, nachdem der Vater an das Hauptzollamt versetzt wurde. Nach der Volksschule besuchte der Zöllnersohn die Staatsoberrealschule in Innsbruck, nachdem er an der militärischen Unterrealschule St. Pölten wegen „körperlicher Unzulänglichkeit“ abgewiesen worden war. Sein Vater hätte in ihm gerne einen zukünftigen Offizier gesehen. Immerhin wurde noch ein Reserveoffizier aus ihm, denn nach der Matura absolvierte er seine Militärpflicht als Einjährig-Freiwilliger. Dem Vorbild seines Vaters folgend, trat er 1899 in den höheren Zolldienst ein und wurde wie jener an unterschiedlichen Dienststellen – unter anderem in Buchs und St. Margrethen – eingesetzt, ehe er zu Beginn der 1930er-Jahre zum Leiter des Bregenzer Hauptzollamtes aufstieg.
Beruflich war er wegen seiner Kompetenz und Gewissenhaftigkeit hoch geschätzt. In weiten Kreisen berühmt aber wurde er durch seine sportlichen Leistungen als Radrennfahrer, als Turner und Kraftsportler. Da damals für Gymnasiasten die Mitgliedschaft in Vereinen und Verbindungen verboten war, bestritt Madlener seine ersten sportlichen Wettkämpfe unter dem Pseudonym „Reneldam“, also unter umgekehrtem Namen. Nach der Schulzeit beteiligte er sich auch beim Militär an sportlichen Wettkämpfen.
Danach bewies er seine vielseitigen athletischen Fähigkeiten vor allem auf Eidgenössischen Turnfesten, wo er sich im Nationalturnen mehrmals Siegerkränze abholte. Das Nationalturnen bestand aus den fünf Disziplinen Hochweitsprung, Ringen, Schwingen, Steinheben und Steinstoßen. Der Unterschied zwischen Ringen und Schwingen besteht darin, dass beim Ringen ein Trikot getragen wird und am ganzen Körper Griffe angesetzt werden dürfen, während beim schweizerischen Schwingen der Gegner nur an der Hose (Hosenlupf) angepackt werden darf. Während seines beruflichen Aufenthalts in St. Margrethen startete er für den dortigen Turnverein. Begleitet wurde er zu den Turnwettkämpfen meist vom Bregenzer Rudolf Sagmeister, mit dem zusammen er sich auch manche scherzhafte Kraftmeierei außerhalb der sportlichen Arena leistete. Einmal sollen die beiden erprobten Ringer in Alberschwende drei stänkernde Wälderburschen zu einem Wirtshausfenster hinausbefördert haben.
Die beiden waren auch im Winter sportlich aktiv. Beim ersten Rodelrennen im Februar 1906 von der Fluh bis zur Villa Babenwohl (heute Landesbibliothek) meisterten sie die Strecke jeweils in gut vier Minuten und damit in den vordersten Rängen. Nach dem Krieg trafen sich die beiden, nun ernster geworden, wieder als Nachbarn in der Bregenzer Oberstadt.
Das international bedeutendste Resultat erreichte Madlener 1904 mit einem fünften Rang bei den in Wien ausgetragenen Weltmeisterschaften im Ringen. Diese Platzierung markierte zugleich die beste Leistung eines Vorarlberger Sportlers vor dem Ersten Weltkrieg.
Die frühesten Erfolge errang er als Radrennfahrer, auf der Bahn ebenso wie auf der Straße. Auf einem Hochrad fuhr er als Erster über den Brenner und 14 Jahre später (1913) gewann er die Seniorenklasse bei der Fernfahrt Innsbruck – Lustenau. Madleners Verbindungen und Initiative war es zu verdanken, dass sich die engagierten Lustenauer Radfahrvereine dem Tiroler Radsportverband anschließen und damit an überregionalen Berg- und Straßenmeisterschaften teilnehmen konnten.
Auch an Wettkämpfen im Stemmen nahm der durchtrainierte Zollbeamte im In- und Ausland teil. 1904 gewann er in St. Gallen einen Bewerb im Dauerstemmen.
Nachdem sich der Sportsmann 1905 mit Wilhelmine Huber, der Tochter des Storchen-Wirts in der Bregenzer Oberstadt, vermählt hatte und 1906 Otto junior geboren war, reduzierte er seine sportlichen Aktivitäten. Und die Kriegsteilnahme setzte ihnen ein endgültiges Ende.
Bald nach seiner Rückkehr aus der Gefangenschaft begann Madlener sein zweites sportliches Leben. Nun aber als Kampfrichter und Funktionär. In den 1920er-Jahren fungierte er als Obmann des „Bregenzer Radfahrerklub 1886“ und veranstaltete als solcher eine Reihe gut organisierter Rund- und Fernfahrten. 1951 war er die treibende Kraft zum und beim Bau der Radbahn im Bregenzer Bodenseestadion.
In der mittleren Phase seines sportbewegten Lebens widmete sich Madlener dem Ski- und Rudersport als Aktiver und als Funktionär. Schließlich übernahm der vormalige Radsportler auch eine Vorstandsfunktion beim Vorarlberger Automobilklub. Für seine sportlichen Meriten und seine aufopferungsvolle Funktionärstätigkeit wurden Amtsrat Otto Madlener eine Reihe von Auszeichnungen und Ehrenmitgliedschaften zuteil. Besonders durch seine unaufgeregte und bescheidene Art erwarb sich der langjährige Helfer und Berater allgemeine Wertschätzung.
Am 23. April 1967 verschied der vielseitige Sportler, der faire Sportsmann und gewissenhafte Beamte im 89. Lebensjahr. Seinem Sohn Otto jr. war weit weniger Lebenszeit beschieden. Im Gegensatz zu seinem Vater kehrte er aus Russland nicht mehr zurück. Er fiel 1943 als deutscher Soldat.