Wuchtig, poetisch und unbedingt lesenswert

Leben ist ein unregelmäßiges Verb
Rolf Lappert
Hanser
992 Seiten.
Rolf Lappert beleuchtet die Geschichte von vier Kindern.
Roman Linus, Ringo, Leander und Frida kennen von der Welt nur, was die Alten, wie sie die Erwachsenen nennen, ihnen erzählt haben. Und das scheinen vor allem Unwahrheiten und ideologische Verzerrungen gewesen zu sein. Den Erwachsenen wird die Obhut entzogen und die vier Kinder kommen einzeln bei Verwandten und Pflegefamilien unter. Was folgt, ist Halt suchen, hinfallen und wieder aufstehen in einer fremden Welt. Kapitelweise geht der Zürcher Autor den Lebenswegen der vier Heranwachsenden nach. Und er lässt ihre Erinnerungen aufblitzen wie kleine Lichter, die große Schatten werfen.
„Leben ist ein unregelmäßiges Verb“ ist fast tausend Seiten lang. Am Anfang stand eine vage Idee. Er sei seit jeher fasziniert von Menschen, die sich von der Welt abgewandt hätten, um nach eigenen Regeln zu leben, sagt Rolf Lappert. In der Kommune, die der Autor erfunden hat, ist niemand frei. Als sie von den Behörden aufgelöst wird, sind die Kinder zwölf Jahre alt. Die verschiedenen Handlungsstränge und Lebensgeschichten sind wie ein Spinnennetz miteinander verwoben, immer wieder tauchen Rückblenden und Erinnerungen auf, ergeben sich Seitenstränge. Um den Überblick zu behalten, hat sich Rolf Lappert eine Art Fahrplan gemacht. Es war ein Kalender mit Feldern, in die er alles eintrug, was ihm wichtig erschien. Irgendwann verließ er sich darauf, auch ohne Plan die Übersicht zu behalten.
Eine Ode an die Literatur
Es ist kein Buch, das man mit halber Aufmerksamkeit lesen kann. Dafür ist es zu dicht. Auch die Erzählweise ändert sich oft: Fridas und Leanders Leben wird von einem Allwissenden geschildert, Ringo erzählt in Ich-Form und in einer Schwere, die sich als Moll-Tonart bezeichnen ließe. Bei Leander und Frida taucht ab und zu ein leichter, humorvoller Ton auf, bei Ringo und Linus dominiert die Ernsthaftigkeit. Lapperts dringliche, poetische und dennoch leichte Sprache erzeugt aber einen Sog. Scheitern tun sie alle, irgendwie. Aber nicht alle mit derselben Wucht. Eines aber haben Frida, Leander, Linus und Ringo gemeinsam: Als sie in die fremde Welt geschleudert werden, bleibt ihnen nichts außer Erinnerungen und das, was sie bisher in Büchern gelesen haben. Oliver Twist, Tom Sawyer und Co helfen ihnen, das Fremde zu ertragen, es einzuordnen. Damit ist „Leben ist ein unregelmäßiges Verb“ auch eine Ode an die Literatur selbst.