Musikunterricht für Vorarlbergs Schüler ist gefährdet

Kultur / 18.10.2020 • 17:00 Uhr
Nikolaus Netzer plädiert für einen Schulterschluss der mit Kultur befassten Institutionen, um negative Folgen einzudämmen. <span class="copyright">VN/Steurer</span>
Nikolaus Netzer plädiert für einen Schulterschluss der mit Kultur befassten Institutionen, um negative Folgen einzudämmen. VN/Steurer


<br>Vorarlberg hat bei den Musikschulen noch eine Vorreiterrolle, doch die Zukunft sieht düster aus.

Feldkirch Advent- und Weihnachtsfeiern von Firmen und Vereinen wird es heuer so gut wie keine geben. Wenn Preisverleihungen oder sonstige Ehrungen nicht ohnehin digital, das heißt gerade noch im sehr kleinen Rahmen stattfinden, verzichtet man ebenfalls auf die sonst übliche Musikdarbietung. Die Absage von Auftritten bemerken die Musikschulen in Vorarlberg schmerzlich, sie reduziert auch die Motivation in Jugendorchestern und -kapellen, und wer mit seinem Chor- bzw. Kirchenchor probt, bewegt sich sowieso an der Grenze des gesetzlich Zulässigen. Nicht nur die Pandemie-Auflagen selbst bereiten Nikolaus Netzer, Direktor der Musikschule Feldkirch und Vorsitzender der Vorarlberger Musikschuldirektorenkonferenz, Sorgen, er fragt sich, was der eingeschränkte Präsenzunterricht mit den Kindern und Jugendlichen macht, was dabei verloren geht und wie man trotz aller Maßnahmen zur Reduzierung von Corona-Infektionen negative Folgen erkennen und verhindern kann. Im Gespräch mit Funktionären von Musikvereinen hat er festgestellt, dass den Menschen derart oft eingebläut wurde, dass zu Hause der sicherste Ort sei, dass sie sich bereits einbunkern. Wenn über längere Zeit keine Proben in den Blasorchestern stattfinden, dann erzeuge das bei vielen Musikfreunden zwar einen Leidensdruck, andere, vor allem die jungen Leute, die es noch zu motivieren gilt, gewöhnen sich aber auch daran und raffen sich dann gar nicht mehr auf. Zahlreiche Jugendkapellen haben ihre Aktivitäten bereits weitgehend auf Eis gelegt, berichtet Netzer im Gespräch mit den VN. Er kann selbst auf eine erfolgreiche Dirigentenkarriere zurückblicken und leitet neben seiner pädagogischen Tätigkeit das Vorarlberger Musiktheater, das seine jährliche Produktion, die jeweils im Oktober gezeigt wird, um ein Jahr verschoben hat.

Belastbarkeit im Grenzbereich

Der positive Effekt einer musikalischen Ausbildung brauche an sich nicht mehr betont zu werden, es sei längst wissenschaftlich erwiesen, dass das Musizieren und Singen den Menschen, vor allem den jungen Menschen, sehr gut tut. „Ich mache mir große Sorgen, dass uns eine Generation für den Musikunterricht wegbricht, wenn wir nicht versuchen, die Normalität so weit wie möglich aufrechtzuerhalten.“

Was Netzer damit meint, ist der Präsenzunterricht, der durch alle digitalen Methoden nicht annähernd ersetzt werden kann. Während des totalen Lockdowns war nichts anderes möglich, mittlerweile stellen Musiklehrer fest, dass es generell weniger Anmeldungen gibt und dass Kinder immer öfter vom Unterricht entschuldigt werden. Die Belastbarkeit von Eltern, die Zukunftsängste plagen, und vor allem von Müttern, die den Arbeits- und Schulalltag mit allen Auflagen zu organisieren haben, gerate, so Netzer, mehr und mehr an Grenzen.

“Ich mache mir große Sorgen, dass uns eine Generation für den Musikunterricht wegbricht.”

Nikolaus Netzer, Musikschuldirektor, Dirigent

Unermüdlicher Aufbauarbeit von Musikern und Musikpädagogen sei es zu verdanken, dass die Situation in Vorarlberg grundsätzlich noch eine sehr gute ist. Von 1000 Einwohnern im Alter von fünf bis 24 Jahren besuchen in Vorarlberg rund 194 eine Musikschule, in der Bundeshauptstadt Wien sind es vergleichsweise rund 30, gerade einmal Niederösterreich und Tirol kommen mit 171 bzw. 162 Schülerinnen und Schülern pro 1000 Einwohner in der genannten Altersgruppe an die fantastische Zahl in Vorarlberg heran. Ob sie zu halten sein wird, diese Frage beschäftigt Nikolaus Netzer zurzeit ebenso, denn dass hie und da in den Kommunen die Frage auftaucht, ob man sich die Kosten für die Musikschule noch leisten kann, dringt immer öfter an sein Ohr.

Recht auf kulturelle Bildung

In der Musikschulkonferenz wird sie ebenso rege diskutiert wie der Ausbau eines Kooperationsmodells mit den Regelschulen, das vor allem im Raum Feldkirch als zusätzliches Angebot sehr gut funktioniert und Zukunft hat. Gemeint ist damit ein Teamteaching, das vorsieht, dass Pflichtschullehrer und Musikschullehrer in den ersten und zweiten Klassen von Volksschulen gemeinsam Lehrpläne erstellen und Unterrichtsstunden abhalten, von denen die Kinder enorm profitieren. Dem Recht auf kulturelle Bildung werde damit entsprochen, erreiche man doch auch Schülerinnen und Schüler, die kein Instrument lernen. Man habe damit sehr gute Erfahrungen gemacht. Diesen Weg, der für die Eltern mit keinen zusätzlichen Kosten verbunden ist, weil das Land Vorarlberg diese Unterrichtsstunden mit Sonderbeiträgen fördert, solle man sich auf keinen Fall verbauen, meint Netzer. Die Pandemie-Maßnahmen bedingen, wie erwähnt, bereits jede Menge Ausfälle oder schränken das Musikleben bzw. das aktive Muszieren enorm ein. Netzer plädiert für einen Schulterschluss der mit Kultur befassten Institutionen, um negative Folgen einzudämmen.