„Die Sprache ist es, die mich reizt“

Kultur / 23.10.2020 • 19:24 Uhr
Lydia Haider: „Es ist auch eine Frage von Macht. Ohnmacht und Machtlosigkeit sind in dieser Zeit präsenter denn je.“ TaS/detailsinn
Lydia Haider: „Es ist auch eine Frage von Macht. Ohnmacht und Machtlosigkeit sind in dieser Zeit präsenter denn je.“ TaS/detailsinn

Lydia Haider tritt bei den Feldkircher Literaturtagen auf. Sie beschäftigt sich auch mit Missständen.

Feldkirch „Der Sprache soll man sich stellen“, meint Lydia Haider. Sie vertritt dabei die Position, dass in der Kunst alles möglich ist.

 

Sie sind Schriftstellerin. Sprache ist Ihr Werkzeug, mit dem Sie sich mit gesellschaftspolitischen Missständen, mit rechtem Gedankengut und unreflektiertem rechtem Sprachgebrauch beschäftigen. Ist das Ihre Motivation zu schreiben?

Haider Mich mit Sprache zu beschäftigen und zu schreiben und dann darüber voll und ganz in der Sprache zu sein und sie dabei auch voll und ganz zu haben, das mache ich nicht nur aus gesellschaftspolitischen oder künstlerischen oder sonstigen strategischen oder rationalen Gründen, sondern auch aus einem viel egoistischeren Grund: Weil ich das schlicht so mag und spannend finde. Ein Kritiker, Helmut Gollner, benannte das einmal mit „Sprachlustgewinn“. Für mich sind die Inhalte nebensächlich und die Sprache ist es, die mich reizt.

 

Im Text, den Sie dieses Jahr beim Bachmannpreis vorgetragen haben, heißt es einmal „Ein Fleisch, ein Blut, ein wahrer Glaube -ausrotten“. Sehr direkt fordern Sie also, sich diesem sprachlichen Erbe der Nazis zu stellen?

Haider Ja, ich finde, dass man so etwas sehr direkt verlangen kann, darf und soll. Aber nicht nur diesem sprachlichen Erbe bzw. dieser Sprache soll man sich stellen, sondern generell allen: der Bibelsprache, dem Bildungsbürgerinnensprech, dem Jugendjargon, der verhunzten Sprache, allen Auswüchsen wie auch dem Holdseligkeitskitsch, alles was uns umgibt, dem Hohen wie Tiefen. Wobei diese beiden letzten Kategorien in meinem Verständnis von Sprache nicht existieren bzw. ich daran arbeiten, sie ganz auszulöschen.

Sie wandeln den Auszug eines Liedtextes der Band Laibach aus den 1980er Jahre ab, in dem diese den Versuch einer satirischen Aneignung unternehmen. Wie sehen Sie das?

Haider Ich finde, dass man in der Kunst alles verwenden und machen darf, und sobald es dem Erkenntnisgewinn dient, auch alle Grenzen übertreten. Diese Überidentifikationsgeste von Laibach hat mich immer fasziniert. Mit meiner „Musikkapelle gebenedeit“ mache ich so etwas Ähnliches.

 

Das Buch, das Sie bei den Feldkircher Literaturtagen präsentieren werden, trägt den Titel „Und wie wir hassen“. In welcher Form bearbeitet es das gesellschaftliche Tabu weiblicher Wutausbrüche?

Haider Diese Texte als „Weibliche Wutausbrüche“ zu benennen, finde ich sogar zu milde: Es sind Hassausbrüche, irrationale Rundumschläge, Todbringendes. Und wie „zufällig“ nur von Autorinnen verfasst. Natürlich ist es nicht wirklich zufällig – aber es sollten die stärksten, mutigsten und härtesten Texte zusammentragen werden, und die kommen im Moment sichtlich und schlichtweg von Autorinnen, und nicht von Autoren.

 

Ihre künstlerische Arbeit beschränkt sich nicht auf die literarische Tätigkeit. Sie arbeiten immer wieder auch in Kollektiven z.B.als Mitglied der feministischen Burschenschaft „Hysteria“, die sich ebenfalls mit rechter Sprache und Ästhetik beschäftig. Warum bevorzugen Sie diese Form der künstlerischen Zusammenarbeit?

Haider Die Zeit des Einzelgängers ist vorbei – die hundertste Geschichte irgendeines einzelnen, einsamen und leidenden Mannes, wen interessiert das noch. Es heißt sich wieder verstärkt zu sammeln und Kräfte zu bündeln. Das wurde in der Geschichte oft gemacht und hat gezeigt, dass es etwas bringt. Viele Gehirne leisten einfach mehr als ein einzelnes.

 

Sie sind auch Teil des Künstlerinnen Kollektivs „Wiener Grippe/KW77“. Findet die „Wiener Grippe „ eine literarische Antwort auf diese besondere Zeit?

Haider Ja, hier ist die Antwort ähnlich wie gerade zuvor. Nun: Es ist auch eine Frage von Macht. Und Ohnmacht und Machtlosigkeit sind in dieser Zeit präsenter denn je. Als Gruppe haben wir da vielleicht mehr Handlungsspielraum. Eine Antwort haben wir aber nie – wir sind ja viele Individuen und haben alle unsere eigenen Erklärungen, Vorlieben, Sprachen, Zugänge zu Kunst. Aber das zu verschmelzen und zu bündeln macht Sinn. sab

Zur Person

Lydia Haider

Geboren 1985 in Steyr

Ausbildung Studium der Germanistik und Philosophie

Tätigkeit Schriftstellerin

Werke „Kongregation“, „Wahrlich fuck you du Sau, bist du komplett zugeschissen in deinem Leib drin oder: Zehrung Reiser Rosi“, „Am Ball. Wider erbliche Schwachsinnigkeit“, „Und wie wir hassen“

Wohnort Wien

Lesung von Lydia Haider, 24. Oktober, 20.15 Uhr, Theater am Saumarkt, Feldkirch. Anschließend Diskussion mit Christian Zillner