Kultur ist lebenswichtig
Man muss uns nicht erklären, dass wir angesichts der erschreckend hohen Fallzahlen vorsichtig sein müssen, dass wir die Kontakte einschränken müssen. Wir wissen alle, dass manches nicht mehr geht, dass wir nicht so leben können, als gäbe es kein Virus. Es ist da – auch wenn es von manchen geleugnet wird. Um das zu sehen, muss man nur mit Menschen sprechen, die in Spitälern arbeiten, die können schildern, wie es mit dem Virus läuft. Einmal abgesehen davon, dass inzwischen tatsächlich fast jeder jemanden kennt, der von Corona ins Bett – oder, noch schlimmer: ins Intensivbett – geworfen wurde. Das alles wissen wir, verstehen wir und wir sind deshalb auch bereit, viele Auflagen, die uns die Politik im Moment beschert, mitzutragen. Aber wir sind nicht bereit, alles in Kauf zu nehmen, was uns das Leben weniger erfreulich macht.
Es ist schon nicht wirklich fein, dass wir uns nicht mehr im Café oder im Gasthaus sehen können. Und so nutzt uns auch wenig, dass die Geschäfte geöffnet bleiben, wenn wir uns nicht nach dem Einkauf auf einen Kaffee oder ein Glas Wein treffen können. Das Einkaufserlebnis ist nämlich nicht nur das Ausgeben von Geld für eine bestimmte Ware, das Erlebnis ist der Kontakt zu Menschen. Wenn uns das genommen wird, dann macht das Einkaufen auch keinen Spaß. Ganz unlustig wird das Leben aber, wenn man uns die Kultur nimmt. Und ich verstehe auch nicht, dass ich zwar in ein Geschäft, aber nicht in ein Museum darf. Denn kaum irgendwo ist es so leicht möglich, die Besucher auf bestimmten Wegen zu leiten und voneinander fernzuhalten. Die Museen haben gelernt, mit der Krise umzugehen und den Menschen ein möglichst kontaktfreies, dennoch freudiges Kunsterlebnis zu bieten. Man möge mir erklären, warum das nicht mehr geht. Und man möge auch darüber nachdenken, warum manches, was von der Politik als Grundbedürfnis gesehen wird, möglich ist, der Genuss von Kunst und Kultur aber untersagt wird. Für mich ist der Besuch einer kulturellen Veranstaltung tatsächlich ein Grundbedürfnis. Kultur ist schlichtweg lebenswichtig, ohne Kunst, ohne Musik, ohne Literatur oder ohne Theater können wir nicht leben, geistige Nahrung ist ebenso wichtig wie körperliche. Wenn man uns das auf Dauer nimmt, dann verkümmern wir. Und wenn man den Künstlern den Kontakt zu ihrem Publikum nimmt, dann verkümmern auch sie. Einmal ganz abgesehen davon, dass sie ohnehin verhungern, wenn sie nicht durch öffentliche Hilfe aufgefangen werden. Und zwar sicher und gut aufgefangen.
„Für mich ist der Besuch einer kulturellen Veranstaltung tatsächlich ein Grundbedürfnis.“
Walter Fink
walter.fink@vn.at
Walter Fink ist pensionierter Kulturchef des ORF Vorarlberg.
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