Versinnbildlichte Liebe zur Natur

Kultur / 02.12.2020 • 22:16 Uhr
Claudia Comte gelingt im Kunstraum Großartiges.

Claudia Comte gelingt im Kunstraum Großartiges.

Claudia Comtes „The Sea Of Darkness“ macht den Kunstraum zur künstlichen Landschaft.

Dornbirn Der Holztritt an der Stirnseite der Ausstellungshalle des Kunstraum Dornbirn ist eine unmissverständliche Einladung und der Beweis, dass außergewöhnliche Zeiten außergewöhnliche Maßnahmen und blitzgescheite Ideen erfordern. So darf heute nicht nur am Adventskalender ein Fenster geöffnet werden, auch im Kunstraum Dornbirn geht ein spezielles Fenster auf. Nachdem die Türen aufgrund der Coronaverordnungen noch bis Montag geschlossen bleiben müssen, können Besucherinnen und Besucher die aktuelle Ausstellung „The Sea of Darkness“ der Schweizer Künstlerin Claudia Comte derweil täglich zwischen 8 und 20 Uhr zumindest durchs Schaufenster betrachten. Und da tut sich ein Blick in eine andere Welt auf.

Claudia Comte schafft mit ihrem eigens für den Kunstraum konzipierten Environment eine Art künstliche, von den Wellen der Ozeane inspirierte Landschaft und beschert dem Raum, der die Künstlerin in seinen Dimensionen an eine Kathedrale erinnert und ein Relikt der industriellen Revolution darstellt, eine großartige Schau. Das Konzept ist ebenso einfach wie komplex, die Visualisierung lässt vielfältigste Assoziationen zu und verweist auf den Facettenreichtum eines Werks, das sich aus dem Einsatz unterschiedlichster Materialien und Techniken speist.

Die inhaltliche Konstante im Schaffen der 37-jährigen Westschweizerin, die längst vom Shootingstar der Szene zu einer international gefragten und beachteten Künstlerin avanciert ist, bilden vor dem Hintergrund von Klimaerwärmung, globaler Umweltverschmutzung, schwindender Ressourcen und Artenvielfalt ihre Überlegungen zur Erhaltung von Ökosystemen. Aufgewachsen in einem kleinen Dorf inmitten von Natur verbindet Claudia Comte mit dem Wald starke Kindheitserinnerungen. Bekannt geworden mit ihren mit der Kettensäge aus Baumstämmen hergestellten Holzskulpturen, hat sich die Künstlerin in den letzten Jahren vermehrt dem Lebensraum Wasser zugewandt.

Erstmals ein Deckengemälde

Im Zuge ihrer Recherchen für die Ausstellung in Dornbirn, wo dereinst Turbinen zur Erzeugung von Wasserkraft montiert wurden, ist sie auf das anfangs der 1950er Jahre erschienene Buch „The Sea Around Us“ der amerikanischen Meeresbiologin und Pionierin des Umweltschutzes Rachel Carson gestoßen. Die verweist darauf, dass die Meere zwar kartografisch erfasst wurden, aber in ihrer dritten Dimension, in der Tiefe, nur wenig erforscht sind und spricht in diesem Zusammenhang vom „Meer der Dunkelheit“ („The Sea of Darkness“). Diese Textpassage, ein absoluter Glücksgriff für die Künstlerin, zitiert Claudia Comte und lässt sie in wellenförmigen Linien auf ein weißes Segel an der Raumdecke drucken. Für Kunstraum-Leiter und Kurator Thomas Häusle ist der Einbezug des Plafonds als Premiere ein absoluter Glücksfall, hat ihn ein Deckengemälde für den Kunstraum doch immer schon gereizt. Mit Claudia Comte habe man eine Künstlerin gewonnen, die sich durch ihre Liebe zum (natürlichen) Material und die Verbindung unterschiedlichster Disziplinen auszeichne, so Häusle. Die Bewegung der Wellen wird auf dem Boden der Halle von 40, in einem strengen geometrischen Raster platzierten, verschieden hohen Sockeln aufgenommen, die überdimensionale, deformierte Getränkedosen tragen. Die Sockel sind Baumstämme, exemplarisch für das Werk von Comte, die aus der Umgebung von Dornbirn stammen, alle den exakt gleichen Durchmesser aufweisen und zugunsten einer vereinheitlichenden Wirkung von der Künstlerin erstmals nicht naturbelassen wurden, sondern weiß getüncht.

Dosen aus edelstem Marmor

Die 40 Dosen, jede ein Unikat, stammen aus aller Welt, waren Alu-Behältnisse für deutsches Bier, Cola, japanischen Tee oder italienische Energydrinks und tragen Namen wie Hans oder Ilaria, die auf ihre Herkunft und vielleicht auch auf den Menschen, der sie gekauft, getrunken und weggeworfen oder entsorgt haben könnte, schließen lassen. Von Comte eigenhändig gecrasht, 3-D-gescannt und dann in Carrara aus Marmor gefräst und manuell zur Perfektion und zu samtig anmutenden Oberflächen geschliffen und poliert, erscheinen sie wie traurige Relikte unserer Wegwerfgesellschaft. Zugleich spielt die Künstlerin mit dem Kontrast zwischen dem Abfallprodukt, das bis zu 500 Jahre braucht, um resorbiert zu werden und sich zuhauf in der Natur und auch in den Meeren wiederfindet, und der Umsetzung in edelstem, ewigem Stein, der vor Jahrmillionen im Meer geformt wurde. Die Details erfordern eine nähere Betrachtung, aber der Blick durchs Fenster liefert eine tolle Gesamtaufnahme und einen Vorgeschmack auf ein ebenso sinnliches wie radikales Werk, das zwischen organisch und geometrisch, Gegenwart und Vergangenheit, Abstraktion und Figuration oszilliert.

Versinnbildlichte Liebe zur Natur

“The Sea of Darkness” überzieht im Kunstraum Dornbirn auch die Decke.

Die Ausstellung ist bis 8. Dezember aufgrund des Lockdowns nur über das Fenster des Kunstraums zu begutachten. Lerch
Die Ausstellung ist bis 8. Dezember aufgrund des Lockdowns nur über das Fenster des Kunstraums zu begutachten. Lerch

Zur Person

Claudia Comte

Geboren 1983 in Grancy/Schweiz

Ausbildung Ecole Cantonale d’Art de Lausanne; Haute Ecole Pédagogique, Visual Arts, Lausanne

Laufbahn internationale Ausstellungstätigkeit, u.a. Baltimore Museum of Modern Art, Museum of Modern Art New York, Kunstmuseum Luzern, Art Basel, Gladstone Gallery New York, König Galerie Berlin.

Auszeichnungen Swiss Art Award, Prix Fondation Iréne Reymond, Kulturförderpreis der Alexander Clavel Stiftung
Wohnort Bennwil/Baselland

Geöffnet im Kunstraum Dornbirn bis 28. Februar geöffnet sein. Eintritt erst nach dem Lockdown ab 8. Dezember, täglich 10 bis 18 Uhr, Feiertagsöffnung: kunstraumdornbirn.at