Fräulein Gabrieles Gespür für Pinien

In der Wexelstube erzeichnet sich Gabriele Bösch die große Welt im Kleinen.
Feldkirch Mit den Pinien in Italien hat alles angefangen. Als Schriftstellerin ist Gabriele Bösch 2015 im Rahmen eines Stipendiums des Landes Vorarlberg erstmals ins Atelier nach Paliano gefahren. Zurückgekommen ist sie als Zeichnerin und Künstlerin. In der Abgeschiedenheit des Ateliers hat sie sich auf die riesige Pinienallee konzentriert, die Nadeln der Bäume gesammelt, ausgebreitet, fotografiert und schließlich – erstmals nach langer Zeit – begonnen, sie mit Feder und Tinte zu zeichnen. In unendlicher Kleinteiligkeit, in Reih und Glied aneinandergereiht, sind Blätter mit musterartigen Strukturen entstanden. Im Kleinen der Nadel hat Gabriele Bösch das Große der Welt entdeckt, im scheinbar Immergleichen die Variation gesucht.
Leerstellen
Paliano scheint ein fruchtbarer Boden für ihre Kunst zu sein. Auch ihre jüngsten Arbeiten, die Teil ihrer Ausstellung in der Wexelstube in Feldkirch sind, gehen auf einen Arbeitsaufenthalt zurück. Und wieder waren es die Pinien, die sie beschäftigt und nicht losgelassen haben. Nachdem aus dem ursprünglichen Baumbestand durch einen Sturmschaden etliche Pinien fehlten, machte die Künstlerin diese Leerstellen zum Thema ihrer Arbeiten. Aus der Auseinandersetzung mit dem Zwischenraum entsteht in den jüngsten Werken eine noch nicht abgeschlossene Blattfolge, die eine Art Evolutionszyklus darstellt: von Piniennadeln über Flussläufe, Muscheln und das Meer bis hin zu tanzenden Figuren, die sich aus dem Meer erheben.
Das Zeichnen, das die ältere Disziplin in ihrem Leben ist, kommt für Gabriele Bösch einem Weiterschreiben ihres Zugangs zur Natur, wie es in ihren Texten auch passiert, gleich. „Nur stiller“, sagt sie. Diese Ruhe, den fokussierenden Blick und die verdichtete Konzentration, die für ihre Entstehung notwendig war, strahlen ihre mit Spitz- und Stenografiefeder und nach uralter Rezeptur gekochter Nussbaum- und Eisengallustinte feinst gestrichelten und geschwungenen Linien aus. Wie in einer Kapsel schließen sie den Fluss der Zeit in sich ein. Es sei die Suche nach einer neuen Grammatik, so die Künstlerin. „Manchmal ist mir, als schriebe ich an einem Loblied auf die Natur. Manchmal nenne ich meine Blätter ‚Kartographie der potenziellen Ordnungen‘. Immer jedoch schreibe ich an einer Verlangsamung des Blicks und darum an einer Verlangsamung der Welt. Reglos scheint so mein stilles Tun. Die Stetigkeit in der Reglosigkeit kommt jedoch einer Ausdehnung gleich: Einatmen. Im Ausatmen dann schwebt leise ein Ton.“
Man fühlt sich geborgen und gut aufgehoben in dieser streng seriellen, minutiösen (An-)Ordnung und akribischen Klarheit, die selbst hinter den wuselnden Strukturen waltet. Eine Dachlandschaft aus Ziegeln, die an Ackerfurchen erinnert, mäandernde, verschlungene Formen, Samen und Blütenstände, Bohnenschoten und Staubfäden, Zellstrukturen, das Blatt einer Bougainvillea, das auf dem Papier abstrahiert wird: Die Natur, der Garten, liefert der Künstlerin ihre Motive frei Haus. Mit ihrem „Ballett der Vergänglichkeit“, einer kleinen Installation aus einem Wespennest, einem ausgedorrten Kohlrabi und einer vertrockneten Calla, zeigt Gabriele Bösch auf, wie viel Schönheit hier leuchtet.
Zur Person
Gabriele Bösch
Geboren 1964 in Koblach
Tätigkeit Schriftstellerin und
bildende Künstlerin
Werdegang literarische Arbeiten und Veröffentlichungen seit 1996, zuletzt „Der Mann in der Blüte“ (Erzählung, 2020); seit 2016 verstärkte Auseinandersetzung mit bildender Kunst und Ausstellungstätigkeit
Auszeichnungen Literaturstipendium des Landes Vorarlberg 2004 und 2016, 2. Platz beim Prosapreis Brixen-Hall
Wohnort Hohenems
Die Ausstellung ist in der Wexelstube, Mühletorplatz 10, Feldkirch, am Sa, 19. und So, 20. Dezember, 10 bis 16 Uhr geöffnet. Infos zu weiteren Zeiten: www.wexelstube.at.