Die „alte Dame“ hat jetzt kein Kopfweh mehr

Weihnachten hat für den Organisten eine besondere Bedeutung.
Bregenz Helmut Binders Freude ist riesengroß. Seine „Hausorgel“, die historische Behmann-Orgel von 1933, die zuletzt ordentlich kränkelte, ist durch die Firma Rieger auf Vordermann gebracht worden und strahlt nun klanglich wieder im alten Glanz. Ihr Meister dagegen ist der stille, in sich gekehrte Musiker geblieben, der sich am liebsten in Noten und Tönen ausdrückt.
Heuer ist Weihnachten anders. Wird man das auch an Ihrem Orgelspiel in Herz-Jesu spüren?
BINDER Da ja bis auf Weiteres keine Konzerte stattfinden, werde ich mit umso größerer Freude Gottesdienste mitgestalten. Gerade um Weihnachten ist das eine besonders inspirierende Aufgabe. Wenn ich wie seit Jahrzehnten vor der Mette über Weihnachtslieder improvisieren darf, werden die derzeitigen Probleme sicher vergessen sein. Ich hoffe, in meinem Spiel werden meine Freude und Dankbarkeit zum Ausdruck kommen.
Durch die Pandemie-Vorgaben konnten Sie auch das Konzert nach der Renovierung der Orgel nur virtuell abliefern. Hatten Sie viele Zugriffe?
BINDER Zu unserer Überraschung sind es bereits über 800 User, die das hören wollten.
Worin liegt für Sie bis heute der Reiz dieser so besonderen Orgel?
BINDER Zum einen ist es ihre Fülle an Klangfarben, aber natürlich auch die Monumentalität und Kraft, sodass ein Vergleich mit einem Orchester naheliegend ist.
Entsteht nicht auch eine emotionale Bindung zum Instrument, dass Sie sich manchmal denken: „Heute hat die alte Dame wieder mal Kopfweh?“
BINDER Eher habe ich mich oft gefragt, mit welcher Rüstigkeit sie den oft widrigen klimatischen Bedingungen in der Kirche begegnet. Im Ernstfall hat sie mich praktisch nie im Stich gelassen, aber sie war immer wieder für schöne Überraschungen gut und hat in den vielen Jahren auch mein Repertoire mit deutscher und französischer Romantik geprägt.
Sie sind bekannt dafür, dass Sie bei Ihren Gottesdiensten in Improvisationen sehr auf den jeweiligen liturgischen Charakter im Kirchenjahr eingehen?
BINDER Ich sehe es als großes Geschenk, improvisieren zu können. So kann ich im Gottesdienst auf eine große Fülle an Liedern und gregorianischen Melodien zurückgreifen und so meinen ganz persönlichen Beitrag zur Liturgie leisten wie das Brausen des Heiligen Geistes zu Pfingsten oder eben die Hirten mit ihren Schalmeien zu Weihnachten.
Bereits Kult geworden sind Ihre Orgelkonzerte zu Weihnachten oder zum Fasching. Wie weit darf dabei eine gewisse Trivialisierung gehen?
BINDER Humorvolles mit großer Ernsthaftigkeit vorzubereiten ist wichtig, um nicht banal zu werden. Oft genügt es, Stücke aufs Programm zu setzen, die man überhaupt nicht mit der Orgel und der Kirche in Verbindung bringt, um die Zuhörer in Faschingslaune zu bringen. Aufgrund der genannten Qualitäten kann man auf „meiner“ Orgel wirklich fast alles spielen.
Wodurch sind Sie selber überhaupt zur Orgel gekommen?
BINDER Mein Vater war Organist im Gallusstift und ich habe als Klavieranfänger meine Stücke gleich auf der Orgel ausprobiert. Ich musste dann bald auch für ihn einspringen, wurde also ins kalte Wasser geworfen und gezwungen zu improvisieren und Kirchenlieder zu begleiten. Die Begeisterung dafür ist bis heute nicht verloren gegangen.
Wer hat Sie als Lehrer besonders geprägt?
BINDER Das war zunächst Günther Fetz, der als hervorragender Pädagoge für einen Aufbruch der Orgelszene im Land Anfang der 1980er-Jahre steht und junge Leute für dieses Instrument begeistert hat. Für mich war der Unterricht bei ihm die ideale Grundlage für meine späteren Studien bei Peter Planyavsky in Wien. Am Klavier waren es der begeisterungsfähige, charismatische Aldo Kremmel und in Wien der aus Indien stammende Hochschulprofessor Noel Flores, denen ich sehr viel zu verdanken habe.
Was geben Sie als Lehrer am Konservatorium Ihren Studenten mit?
BINDER Ich lege sehr großen Wert darauf, dass die Kirchenmusik in der Tradition verhaftet ist und Qualität besitzt. Ein David-Vaterunser sollte nicht der Maßstab aller Dinge werden. Einen Gemeindegesang ordentlich an der Orgel zu begleiten, ist schwieriger als man denkt. Zum anderen ist es mir auch wichtig zu vermitteln, welch großen Gestaltungsspielraum man an der Orgel hat und welche Mittel auf diesem Instrument zur Verfügung stehen, um künstlerisch eigenständig zu gestalten und den Stücken Leben einzuhauchen. Nur so gelingt es, die Zuhörer emotional zu berühren, und das ist doch das Schönste. Nicht die Orgel spielt, sondern der Organist bringt auf ganz eigenständige Weise dieses wunderbare Instrument zum Erklingen.
Zur Person
HELMUT BINDER
Geboren 1961 in Bregenz
Tätigkeit Seit 1988 Lehrer an der Musikschule Dornbirn, ab 2010 Professor für Orgel am Landeskonservatorium Feldkirch; Mitglied der diözesanen Orgelkommission; internationale Konzerttätigkeit
Familie verheiratet, zwei Kinder