“Ich werfe einen Satz aufs Papier und lasse mich überraschen”

Kultur / 15.01.2021 • 18:39 Uhr

Mein erster Tipp, was Überwindung von Schreibhemmungen anbelangt: Frisch von der Leber weg. Bei den Surrealisten hieß es ‚automatisches Schreiben‘, d.h. möglichst schnell hemmungslos und ungefiltert schreiben, also nicht nur das Oberstübchen soll zu Wort kommen, sondern auch das Interstübchen. Hinsetzen, drauflosschreiben, eine bestimmte Zeit lang oder eine Seite lang oder länger, ohne Pause, ohne groß zu überlegen, Fehler sind egal, sind sogar wünschenswert, und zum Schluss hat man einen kleinen Text, der einen vielleicht selbst überrascht, in dem zumindest ein paar Sätze stehen, mit denen man was anfangen kann, weil sie vielleicht ganz seltsam funkeln und man sie selber nicht versteht oder sie einen einfach überraschen …

„Stream of Consciousness“ oder „Gedankenstromprosa“ heißt es in Zusammenhang mit James Joyce: Gedanken unvermittelt, sprunghaft, Melange aus Unbewusstem und Bewusstem, Gedankensprünge, Gefühlssprünge, falls man das so sagen kann, vieles gleichzeitig, nebeneinander, durcheinander, wie man halt oft denkt, wenn man sich beim Denken beobachtet mit seinem menschlichen überdrüber Denkvermögen, und an dieser Stelle will ich was aus dem ‚Ulysses‘ von Joyce zitieren, was mir gerade durch den Kopf geschossen ist: „Schwupp, Hatschi.“ – Übersetzt von Hans Wollschläger. Wie das wohl im Original heißt? „Schwupp, Hatschi“: Mein neues Mantra, Lebensmotto, hoho, jedenfalls große Worte eines großen Mannes, da fährt die Eisenbahn drüber.

Apropos fahren, das vielleicht auch noch: Ich kannte einmal einen Amerikaner, der setzte sich gern ins Auto und machte „Joy Driving“, wie er es nannte. Das bedeutete: Einfach der Nase nach ins Blaue hinein zu fahren, ohne bestimmtes Ziel, einfach aus Lust und Freude am Fahren, und schauen, wohin es einen führt … In Anlehnung daran nenne ich das, was ich heute auch immer wieder gern treibe (zwischendurch, wenn ich erschöpft bin vom Feilen und Bügeln an einzelnen Absätzen und Sätzen): „Joy Driving“. Immer wieder führt mich gerade das absichtslose und ziellose Schreiben irgendwohin, wohin ich sonst nie gekommen wäre. In dem Zusammenhang muss ich auch an H.C. Artmann denken, über den einmal wer gesagt hat: Seine Finger schreiben weiter, auch wenn der Kopf sich längst verabschiedet hat … oder so ähnlich. Zweiter Tipp: Ein Buch irgendwo aufschlagen, zehn Wörter von der Seite herausschreiben (entweder Wörter, die einem besonders gut gefallen oder Wörter, die man selber noch nie verwendet hat oder Wörter, die einem ins Auge springen oder gar stechen) und eine Geschichte schreiben, in denen diese Wörter vorkommen. Sich von den Wörtern inspirieren lassen, führen lassen, sich von ihnen sagen lassen, wohin die Reise geht … (übrigens, in zwei von meinen Büchern sind Passagen, die so entstanden sind, es sind nicht die schlechtesten, im Gegenteil.“

Dritter Tipp: Einen Stein ins Wasser werfen und schauen was passiert. Vor kurzem hat mich ein 17-jähriger Schüler aus Wien angeschrieben, um mir zu sagen, dass ihm eins meiner Bücher (eins mit Gedichten!) so gut gefallen habe, dass er jetzt in Deutsch ein Referat über mich halten würde. Ob ich ihm nicht ein paar Fragen beantworten könnte. Eine der Fragen lautete, in welchen Situationen mir meine Gedichte einfallen.

Ich antwortete ihm: Gedichte fallen mir oft im Bett ein, also dort beginnt es oft. Ich habe ein Heft neben dem Bett liegen, da schreibe ich abends, morgens und auch mitten in der Nacht was rein. Oft wache ich auf mit Zeilen im Kopf, oder ich beginne im Halbschlaf vor mich hin zu dichten. Das ist manchmal lästig, wenn ich den Sprachfluss im Kopf nicht abstellen kann, also das ist nicht immer beflügelnd oder beglückend, ist oft eher ein Affentheater. Manchmal beginnt ein Gedicht so, dass ich wo einen Satz aufschnappe, der dann hängen bleibt, mich beschäftigt. Oft habe ich auch Einfälle, wenn ich in Büchern lese. Lesen regt mich immer wieder dazu an, selber zu schreiben. Das Segel des Lebensbootes bekommt durch das Lesen mehr Wind, mir läuft das Wasser im Mund zusammen, ich hebe ab, klappe das Buch zu und lege los. Ich schreibe gern und viele Briefe, z.B. an meine Mutter (82) und eine Nichte (13), natürlich auch E-Mails, dabei passiert es immer wieder, dass während des Briefschreibens ein Gedicht entsteht oder etwas, aus dem ich später ein Gedicht mache. Manchmal ist es so, dass ich einen Stein ins Wasser werfe und schaue, was passiert, das heißt aufs Schreiben übertragen: Ich werfe einen Satz aufs Papier und lasse mich überraschen. Das in etwa habe ich bei der Skype-Sitzung mit 25 Kindern geantwortet, als ich gefragt wurde, wie ich auf meine Ideen komme. Die Kinder haben gerade ein Kindergedicht von mir verfilmt. Dieses Gedicht will ich jetzt hier an den Schluss stellen:

Ein Steinwurf und seine Folgen

Ich warf einen Stein in einen Teich, da schaute ein Fisch aus dem Wasser. / Als er mich sah, rief er:

„He, das war mein Kopf!“

„Tut’s weh?“, fragte ich blöd.

„Frag nicht so blöd!“, rief der Fisch. / „Tut mir leid“, sagte ich.

„Trottel!“, sagte der Fisch.

„Selber!“, sagte ich. / „Volltrottel!“, sagte der Fisch. / „Selber!“, sagte ich. / „Idiot!“, sagte der Fisch.

„Selber!“, sagte ich. / „Vollidiot!“, sagte der Fisch. / „Selber!“, sagte ich. / So ging das noch lange hin und her, bis es mir zu blöd wurde

und ich den Fisch einfach stehen ließ,falls man das so sagen kann,

wo er doch im Wasser schwamm.

Als ich die Geschichte später

meiner Mutter erzählte, sagte sie:

„Du und deine Geschichten!“

Die Literatur Vorarlberg und das Theater am Saumarkt in Feldkirch starten eine Reihe, in deren Rahmen sie zum Selbstschreiben auffordern. AutorInnen sind beteiligt.