Aus dem Paradies geschleudert

Monika mit ihrer Schwester Gretel.
Monika Helfer spricht über ihren neuen Roman „Vati“, der auch von ihr erzählt.
Hohenems Es war, wie wenn man sie aus dem Paradies hinausgeschleudert hätte, erzählt Monika Helfer. Die frühe Kindheit verbrachte sie in einem Erholungsheim für Kriegsversehrte oberhalb von Bürs. Dass dort mehrmals im Jahr Menschen mit sichtbaren Verletzungen kamen, um ein paar ruhige Wochen zu verbringen, sei für die Geschwister „völlig normal“ und keineswegs beängstigend gewesen. Die meiste Zeit aber habe man in einem „riesigen Haus mit vielen Zimmern wie die Herrschaft“ gelebt, eine Köchin war da, ein Stubenmädchen, der Vater war der Verwalter. Der Vater ist die Hauptfigur im Buch mit dem Titel „Vati“. Aus der kindlichen Perspektive, die die politischen Umstände der Nachkriegszeit ausklammert, war das Ende dieser Freiheit „wie ein Absturz“. Die Mutter stirbt an Krebs, der stille Vater verkraftet den Schicksalsschlag nicht, ist nicht in der Lage, Entscheidungen für die Kinder zu treffen. Sie kommen zur Tante in eine enge Siedlungswohnung. „Es ist zynisch, wenn ich von schwierigen Verhältnissen spreche, wir haben ja keinen Hunger gehabt, aber es war ein Gegensatz.“
Fortsetzung von „Die Bagage“
Die Mutter, deren Bild vor den Augen der Schriftstellerin „mit einem sehr guten Erinnerungsvermögen“ aufgrund ihres frühen Todes nur „wie im Nebel“ erscheint, ist den Lesern bereits im Roman „Die Bagage“ begegnet. Sie ist das Kind von Maria und Josef, die am Rande eines Dorfes leben, ein Mädchen, von dem viele behaupten, dass der Ehemann nicht der Vater sei. Die Geschichte von diesen fast schon Ausgegrenzten, aber auch von der Bindung zwischen den Eheleuten und von Kindern, die sich behaupten mussten, zählt zu den großen literarischen Erfolgen des letzten Jahres. „Ich war überrascht, für jemanden wie mich, der schon so lange schreibt, ist das wahnsinnig schön. Wenn einem das passiert, ist man demütig und glücklich“. Der Roman „Die Bagage“ stand monatelang ganz oben auf den Bestsellerlisten, es folgten Nominierungen und Preise, darunter der Publikumspreis beim Bayerischen Buchpreis und der Solothurner Literaturpreis. Monika Helfers Figuren zeichneten ein um keine Konvention bekümmertes Selbstbewusstsein aus, befanden die Schweizer Juroren nach dem die Kraft des Fiktiven in diesem Buch bereits von mehreren Seiten gerühmt wurde.
„Das war wirklich so“
Dass Monika Helfer (geb. 1947) schon vor ihren ersten großen Erfolgen mit „Die wilden Kinder“ oder „Oskar und Lilli“ (einem Roman, der gerade von Arash T. Riahi adaptiert und verfilmt wurde) publiziert hatte, weiß man in Vorarlberg und das liest sich nun so wunderbar, wenn ein Mädchen zumindest dann die Nähe des Vaters erfährt, wenn dieser seine Liebe zu Büchern offenbart. Es ist eine kaum einordenbare Liebe, aber Helfer konstruiert nichts, sie bleibt in der Perspektive des Kindes, das den Vater beobachtet, das einmal bei einer skurrilen Bücherrettung ins Vertrauen gezogen wird, das mit dem Mann, der seiner eigentlichen Berufung nicht folgen durfte, weil er noch als Jugendlicher eingezogen wurde und im Krieg ein Bein verlor, schließlich keinen Diskurs über die Inhalte der Werke führen konnte. Als Erwachsene legt sie ihm das erste ihrer Bücher in die Hand, das er dann im Regal neben einer Heine-Ausgabe einordnet. „Das war wirklich so und das hat mich sehr gefreut.“
Die Wahrheit dauere zehn Zeilen, der Rest sei Fiktion, hatte Monika Helfer im VN-Gespräch nach dem Erscheinen des Buches „Die Bagage“ gesagt. In „Vati“ sei vielleicht ein bisschen mehr Wahrheit und etwas weniger Fiktion. „Es stimmen die Charakterzüge, die ich ihm zugeordnet habe, es ist meine Wahrheit“, sagt sie. Die Geschichte zu anonymisieren, wäre keine Option gewesen. „Das wollte ich nicht, dann wäre es eine andere Geschichte geworden.“ So habe sie den Faden zur Wirklichkeit gehabt. Ihre Schwester hat das Manuskript gelesen, das war ihr wichtig.
Dritter Teil fast fertig
Tröstet Monika Helfer das Schreiben? Trost sei nicht das richtige Wort, „aber ich spüre, dass ich als Schriftstellerin einen sehr beglückenden Beruf habe.“ Als sie am Buch „Die Bagage“ geschrieben hat, sei überhaupt nicht festgestanden, dass die Geschichte ihrer Großmutter eine Fortsetzung haben wird, nun kommt „Vati“ in den Buchhandel und der Abschlussband der Trilogie ist fast fertig. In „Löwenherz“ erzählt sie vom Bruder Richard, auch von der Tragik im Leben des Menschen, der hier noch ein reizendes Kind ist und den der Vater Löwenherz nannte.
Mit jemandem verheiratet zu sein, der vom selben Fach ist, sei ein Glück, verrät Monika Helfer. Wenn ihr Mann, Michael Köhlmeier, harsch kritisiert, sei das zwar hart, aber auch sie selbst sei im Gegenzug nicht auf Schonung aus. Sonst bringe es ja nichts.
„Es ist meine Wahrheit und es ist Fiktion. Wenn ich die Geschichte anonymisiert hätte, wäre sie eine andere geworden.“

Das Erholungsheim ist ein Schauplatz.


„Vati“ von Monika Helfer, Verlag Hanser. Online-Lesung von Monika Helfer im Anschluss an die Sendung „Vorarlberg Live“ (vn.at, vol.at) am Dienstag, 26. Jänner, 17 Uhr.