„Ich fühle mich als Mensch“

Murat Üstün kam in der Türkei zur Welt und wurde in Vorarlberg als Komponist geboren.
klaus Er ist einer, der mit allen kann und den alle mögen. Sie haben das Exotische an Murat Üstün sogar lieben gelernt. Er selbst gibt sich seit 1990 total „eingemeindet“ in seinem Holzhaus am Klauser Sattelberg, gemeinsam mit Gattin Mariza.
Während sich andere die Köpfe zerbrechen über gelebte Integration, wurden Sie zu einem Musterbeispiel dafür. Was ist bei Ihnen anders?
ÜSTÜN Ich will Menschen zusammenbringen durch die Musik, denn sie wirkt über Grenzen hinweg als direkte Sprache von Herz zu Herz. Die prägende Lebensschule für mich war der Zirkus Hagenbeck, mit dem ich fast alle Kontinente bereist habe. Wir waren damals 80 Leute aus 20 Nationen, und ich war der Kapellmeister. Aber wenn es um den Auf- oder Abbau des Zeltes ging, musste auch ich mit anpacken, denn jeder war gleich. So sehe ich mich heute auch in Vorarlberg.
Aber die Erinnerungen an ihre ersten musikalischen Erfahrungen sind wohl geblieben?
ÜSTÜN Meine Wurzeln waren Jugenderlebnisse, wenn in unserer Familie gemeinsam Volkslieder gesungen wurden. Mit zehn habe ich am Konservatorium Horn gelernt – das Horn ist wie mein Leben, man kämpft damit und liebt es. Und erstmals habe ich dort auch Mozart und Haydn gehört und die europäische Musikkultur verstehen gelernt.
Auch in Ihrer Musik lösen sich Gegensätze auf zur idealen Verbindung zweier Welten?
ÜSTÜN Ich bin in der Türkei zur Welt gekommen und in Vorarlberg als Komponist geboren. Denn erst hier habe ich zu schreiben begonnen, traditionelle türkische Musik für europäische Instrumente. Gerold Amann sagte einmal, dass meine Stücke einen unverkennbaren Charakter haben – das ist mir wichtig. Und Stefan Dünser meinte, dass meine Musik keine Berührungsängste kennt.
Das Stück „Seidenstraße“, das Sie für Dünsers Ensemble Sonus Brass geschrieben haben, wollten Sie zuerst gar nicht veröffentlichen, weil es Ihnen zu kitschig erschien. Zweifeln Sie manchmal an Ihren Werken?
ÜSTÜN Ja, ich bin sehr selbstkritisch. Und manchmal ist es schwierig, Gedanken und Gefühle musikalisch einzufangen. Die Aufgabe, diese Ideen dann so zu notieren, dass sie auch so wiedergegeben werden, wie es meiner Vorstellung entspricht, ist eine besondere Herausforderung.
Welche Gefühle und Reaktionen hat die Corona-Pandemie bei Ihnen ausgelöst?
ÜSTÜN Corona hat für alle Beschränkungen gebracht und es ist mir einmal mehr bewusst geworden, welche Kraft in der Musik steckt und wie sehr sie in schweren Situationen helfen kann. Darum habe ich meinen Schülern auch Distance Learning angeboten, viele haben die Isolation so wenigstens sinnvoll nutzen können.
Es ist in letzter Zeit etwas stiller geworden um Sie als Komponist, hat Corona Ihre Schaffenskraft gebremst?
ÜSTÜN Nein. Die letzten Auftragskompositionen waren sehr spezifisch und kamen hauptsächlich in Deutschland zur Aufführung. Dabei war auch ein Werk, welches viel aufwendiger und energieraubender war, als ich vermutet habe. Jetzt möchte ich etwas machen, auf das ich mich schon lange freue. Es ist mir eine Herzensangelegenheit, für junge Hornisten geeignete Literatur zu schreiben, die bei Wettbewerben wie Prima La Musica gerne gespielt wird.
In der Musikschule Dornbirn war Guntram Simma Ihr Chef. Wie sehr hat er Sie als Dirigent geprägt?
ÜSTÜN Guntram hat mir den Anstoß gegeben, den ich brauchte und er hat mir durch sein Wissen und seine Erfahrung auch die nötige Basis verschafft.
Sie haben seit 2010 das Stadtorchester Feldkirch geleitet und diesen Musikern neuen Mut gegeben. Warum ist das auseinandergegangen?
ÜSTÜN Alles hat seine Zeit. Wir haben gemeinsam viel erreicht und erlebt. Jetzt möchte ich mich aber nur noch um Musik kümmern, für Organisatorisches bin ich einfach zu ungeduldig.
Ihr Sohn Marcel ist in Ihre Fußstapfen getreten als hoch begabter Hornist an der Oper Zürich – was kann man sich da erwarten?
ÜSTÜN Musik ist sein Leben, aber wie es verlaufen wird, kann man nicht voraussagen. Gerade bei jungen Musikern übernimmt Corona momentan leider die Regie. Ich wünsche allen viel Mut und Durchhaltevermögen.
Fühlen Sie sich heute mehr als Türke oder als Österreicher?
ÜSTÜN In erster Linie als Mensch. Beim türkischen Militär haben sie auch akzeptiert, dass ich aus menschlichen Gründen kein Gewehr in die Hand nehme. Dafür habe ich tonnenweise Kartoffeln und Zwiebeln schälen müssen.
Zur Person
MURAT ÜSTÜN
GEBOREN 1959 in Izmir/Türkei, lebt in Klaus
AUSBILDUNG Konservatorium Izmir, ab 1979 Musikhochschule Köln
TÄTIGKEIT Hornist im Opernorchester Gelsenkirchen, Kapellmeister im Zirkus Hagenbeck, Lehrer an der Musikschule Dornbirn, Dirigent der Hatler Musig und des Stadtorchesters Feldkirch
KOMPOSITIONEN 45 Werke für verschiedene Besetzungen, Auftragswerke für den Chorverband Vorarlberg, die „Schurken“, zahlreiche Kinderprojekte
AUSZEICHNUNGEN 2014 Kompositionspreis des Landes
FAMILIE verheiratet, zwei Kinder