Die Bibel – einmal anders
So beginnt das Buch: „Ich wusste seit jeher, dass man mich zum Tode verurteilen würde.“ Jesus sagt das im Roman „Die Passion“ von Amélie Nothomb (Diogenes Verlag) – und er sagt dann noch ziemlich viele erstaunliche Dinge. Nothomb schreibt die Passion aus der Sicht von Jesus und beginnt gleich damit, dass all jene, an denen Jesus Wunder gewirkt hatte, beim Prozess gegen ihn aussagen. „Der nun sehende Blinde klagte über die Hässlichkeit der Welt, der einst Aussätzige beschwerte sich, dass Almosen ausblieben, der Fischereiverein vom See Genezareth warf mir vor, ich hätte ein paar Fischer bevorzugt behandelt, und Lazarus schilderte, wie grausam es sich anfühlt, wenn einem der Leichengeruch an der Haut klebt.“ Die Biblische Geschichte stellt sich also etwas anders dar.
Amélie Nothomb ist in Frankreich ein Star, sie erhielt die höchsten Auszeichnungen – und bürstet gerne etwas gegen den Strich. So auch hier, in dem Jesus zwar der Göttliche, aber mit besonders menschlichen Eigenschaften ist. Bei Maria Magdalena zeigt es sich unter anderem, wenn ihr Jesus sagt: „Als ich in dein Gesicht blickte, konnte ich es nicht fassen. Ich wusste nicht, dass es eine solche Schönheit geben kann. Wenn du mich ansiehst, raubt mir das den Atem.“ Klingt doch sehr verliebt, sehr menschlich. Oder dann, viel später, bei der Kreuzigung, da wir in den Evangelien lesen, dass Jesus einem Häscher neben sich vergibt. Bei Nothomb sagt Jesus: „Ich habe ihm nicht versprochen, dass er gerettet wird. Ich lege Wert auf diese Klarstellung, weil es in den Evangelien anders steht. Warum? Keine Ahnung. Die Evangelisten waren nicht dabei, als es passierte. Und sie kannten mich nicht.“ Womit Nothomb recht hat. Amélie Nothomb hält sich an die biblische Geschichte, aber sie erzählt sie aus anderer Perspektive. Eine sehr spannende Sache. Und: Schon einmal gab es im Diogenes Verlag ein ähnlich interessantes Experiment. Der israelische Schriftsteller Meir Shalev erzählte vor über zwanzig Jahren in „Der Sündenfall – Ein Glücksfall?“ die Bibel neu – und etwas anders. Das Buch ist übrigens noch lieferbar.
Und – weil Ostern ist: Jesus predigt auch hier – wie immer – die Liebe, die Liebe zu allen ohne Einschränkung. Nicht wie die Glaubenskongregation, die heutige Inquisition des Vatikans, die Menschen in gleichgeschlechtlicher Liebe von kirchlicher Segnung ausschließt. Ich bin stolz, dass es in Vorarlberg einen Bischof gibt, der das nicht akzeptiert, ich bin stolz, dass es Pfarreien gibt, die durch Aushängung der Regenbogenfahne an ihrer Kirche zeigen, dass sie diese Haltung nicht akzeptieren. Und ich verachte jene, die diese Fahnen – in treuer Folge der Inquisition – verbrennen.
Jesus predigt die Liebe zu allen ohne Einschränkung. Nicht wie die Glaubenskongregation, die heutige Inquisition des Vatikans, die Menschen in gleichgeschlechtlicher Liebe von kirchlicher Segnung ausschließt.
Walter Fink
walter.fink@vn.at
Walter Fink ist pensionierter Kulturchef des ORF Vorarlberg.
Kommentar