Irgendwo dazwischen

Künstler Clemens Tschurtschenthaler nutzt im DWDS die Metamorphose als Metapher.
Bregenz Nur weil etwas weder Fisch noch Fleisch ist, hat das noch lange nicht zu bedeuten, dass es schlecht ist. Jeder Veganer kann da nur kopfnickend zustimmen. Obwohl diese Redensart seit Erasmus von Rotterdam (1469-1536) schriftlich belegt ist, trifft sie noch lange nicht zu. Was der große Renaissance-Humanist außer Acht ließ, ist das Zwischenstadium. Dieses Feld darf die Kunst beackern. Auftritt Clemens Tschurtschenthaler (32). Der im Südtirol geborene und in Wien ausgebildete Künstler setzt sich mit dem Gegensätzlichen der Zustände auseinander, mit Sichtbarkeit und Tarnung, mit dem Veränderungspotenzial der Dinge.
Der Ausstellungsraum DWDS (Die Wiedergeburt des Schaufensters) hat sich als die wohl coronakonformste Institution in der Bregenzer Kunstlandschaft etabliert. Ein einsehbarer Raum in attraktiver Lage, der dem Flaneur in flotter Frequenz Perlen der jungen Szene offeriert. Die Stadt ist ja auch, in unserer von sozialen Medien dominierten Gesellschaft, ein Ort, um zu sehen und gleichsam gesehen zu werden. Wer allerdings dieser Tage die Räumlichkeiten der Kunststätte passiert, der fühlt sich durch die an mit Wasser verdünntem Apothekenkalk verhüllten Schaufenster des DWDS angezogen. Mit dieser Störung im Blickfeld beginnt das Spiel des Künstlers mit der Sichtbarkeit. „In der Natur kann es tödlich sein, gesehen zu werden. Da spielt Tarnung eine tragende Rolle“, erklärt Tschurtschenthaler. In der Stadt allerdings erweckt das Neugier. Man muss seine Nase am Schaufenster plattdrücken, um die sieben vor Ort installierten Arbeiten von außen wahrzunehmen, die im Inneren zu einem großen Ganzen werden.
Eine Prise Ambivalenz
Fünf kokonartige Objekte sind ersichtlich. Liegend, schwebend, hängend, versteckt. Diese sind eine Verbindung von aus reflektierendem Stoff selbstgenähten, wie für ein Puppenhaus gedachten madenartigen Schlafsäcken, die auf beinahe flüssig wirkendem, jedoch erhärtetem PU-Schaum drapiert sind. Das wirkt nicht irdisch, das kennt man so nicht. Zumindest nicht in unseren Breitengraden. Genau an dieser Stelle ist der Prozess des Künstlers hervorzuheben. Einem Forscher gleich geht er materiellen Zuständen auf den Grund und erweckt so tote Objekte mit einer Prise Ambivalenz mit Leben. Tschurtschenthaler geht mit einer Idee zu Werke, lässt aber auch Dinge passieren. Ganz in der Hoffnung, der Grundidee im Laufe der Arbeit so treu als möglich zu bleiben. „Klar, manchmal kommt etwas hinzu, manchmal fällt etwas weg. Meine Arbeiten sind ohnehin nicht didaktisch, da darf man auch ausbrechen.“
Nur ein Bild, ein abstraktes, ins objekthafte verfremdete fotografisches Selbstporträt, selbstredend reflektierend, findet sich im Raum. Der Rahmen ist mit Gips versiegelt. Auch diese Entscheidung wurde in einem intensiven Materialtest gefällt.
Vom Hell ins Dunkel
Für die einzige Videoinstallation, die man, sich im Raum befindlich, nur kopfüber wahrnimmt, hat der Künstler eine eigentlich für den statischen Gebrauch gedachte Wildtierkamera für eine Rundfahrt an sein Fahrrad geschnallt. „So ergibt sich ein weiters Spiel mit dem Licht. Dadurch, dass die Kamera Infrarot aufnimmt, wird alles reflektierende, also Schilder, Absperrungen und dergleichen im Leuchten verstärkt. Durch die digitale Postproduktion wird das nochmals umgekehrt und intensiviert. Vom Hell ins Dunkel geführt. Zudem wirkt der Bildschirm, auf dem das Video abgespielt wird, durch die räumliche Gegebenheit in der Mitte getrennt, wobei die scheinbare Wahrnehmung einen nichtexistenten Links-Rechts-Effekt erzeugt“, erläutert der Künstler. Das Licht tut also, als wäre es etwas, das es nicht ist. Wie alles in diesem Raum. Und um eines klarzustellen: Die Ausstellung gibt es wirklich in dieser Form, so, wie es auch das DWDS, die Stadt Bregenz, Fisch und Fleisch gibt. Bis zum Beweis des Gegenteils.
„In der Natur kann es tödlich sein, gesehen zu werden. Da spielt Tarnung eine tragende Rolle.“
Die Ausstellung „Inverso“ ist noch bis zum 30. Mai im DWDS in Bregenz, Jahnstraße 13–15, zu sehen. www.dwds.info