Stückwahl der Stunde

Andreas Homoki präsentiert „Die
Geschichte vom
Soldaten“ sehr ansprechend.
ZÜRICH Aus einer Beschränkung erwächst oft Mehrwert. Gegen Ende des Ersten Weltkriegs, als auch die Theater darniederlagen, schufen der in die Schweiz exilierte russische Komponist Igor Strawinsky und der Waadtländer Dichter Charles-Ferdinand Ramuz ein Bühnenstück in Kleinbesetzung. Die Moritat „L’histoire du soldat“ für einen Erzähler, zwei Schauspieler, eventuell weitere (stumme) Figuren und sieben Instrumentalisten ist zugleich von holzschnittartiger Kraft und artistischer Raffinesse. Nach der Lausanner Uraufführung im Herbst 1918 wollte man auf Tournee gehen. Dies verhinderte aber die Spanische Grippe.
Schrittweise Wiederöffnung
Wenn nun in unserer gegenwärtigen Pandemie-Zeit ein Theater wie das Opernhaus Zürich im Zuge einer schrittweisen Wiederöffnung „Die Geschichte vom Soldaten“ aufs Programm setzt, kommt solches gleichsam einer Stückwahl der Stunde gleich, korrespondiert doch die dem Werk eingeschriebene „Ästhetik der Einfachheit“ mit den Einschränkungen in der Corona-Pandemie. Inszeniert hat Intendant Andreas Homoki das Märchen von dem im Fronturlaub befindlichen Soldaten, der bei seiner Heimkehr in die Fänge des Teufels gerät, sich zwischenzeitlich befreien kann und ihm dann endgültig verfällt, auf hochgefahrenem Orchestergraben vor dem Eisernen Vorhang mit den beiden Ensemblemitgliedern Ruben Drole und Martin Zysset. Neben und hinter diesen musiziert ein aus der hauseigenen Philharmonia Zürich gezogenes Septett, das sich momentweise auch schauspielerisch etwas in den Abend einbringt.
Wenige Requisiten, eine Lichtgebung, bei der ein Scheinwerferkegel in kreisende Tanzbewegungen verfällt – das genügt hier vollauf. Denn die je zwei Holzbläser, Blechbläser und Streicher und der Schlagwerker interpretieren Strawinskys Partitur mit ansteckender rhythmischer Verve, farbenreich, stilistisch beweglich und – ohne die Beihilfe eines Dirigenten – sauber koordiniert. Russische Folklore, protestantischer Choral, Anleihen zum Beispiel beim Tango oder beim Ragtime: Verschiedensprachiges musikalisches Material aufersteht hier zu pulsierendem Leben mitsamt beabsichtigter parodistischer Verzerrungen. Ruben Drole und Martin Zysset agieren mit einem schauspielerischen Ausdrucksreichtum und einer textartikulatorischen Deutlichkeit, die bewundernswert sind. Indem die beiden sowohl Texte des Vorlesers wie auch der Figuren vortragen, wird der in diesem Stück angelegte (vor-)brechtische Verfremdungseffekt nochmals gestärkt.
Nächste Aufführung ab dem 15. Mai bei allerdings sehr strikter Besucherbeschränkung. Weitere Projekte im Streaming und informative Trailer: opernhaus.ch