Monika Helfer

Kommentar

Monika Helfer

Kolumne: Talent (10)

Vorarlberg / HEUTE • 10:13 Uhr

„Rate“, sagte Luis, „wie lange brauche ich, um die Glock auseinander- und dann wieder zusammenzubauen? Mit einer Hand nämlich. Das können nur die besten Soldaten bei der Army.“

Rebecca sagte nichts.

„Entschuldige“, sagte Luis, „das interessiert dich nicht, ist auch nicht interessant. Ich bin nicht in der Army. Ich wollte nur angeben vor dir. Mit einer Hand kann man nicht angeben.“

„Zeig mir, wie du schießen kannst!“, sagte Rebecca.

Worauf er schießen soll, fragte er. Rebecca zeigte auf einen Ast, einen dürren. Er schoss und traf. Der Ast zersplitterte und fiel zu Boden. Der Schuss war nicht so laut, wie Rebecca geglaubt hatte. Sie legte ihre Sandale ins Moos, er zielte und traf. Sie flog davon in einem Salto. Er traf einen Radiergummi und einen Bleistift und das Mathebuch. Die lagen allerdings nur einen halben Meter vor ihm.

Der Nachmittag verflog. Rebecca trug ihr rotes Kleid, Luis sah die Träger ihres BH.

„Willst du, dass ich den BH sehe?“, fragte er. „Ist das absichtlich? Ich frag nur. Ich hätte es gern. Sehr gern sogar.“

Sie antwortete nicht. Sie wusste, noch ehe sie fertig gesprochen hatte, würde er seine Frage vergessen haben.

„Darf ich auch einmal schießen?“, fragte sie.

Sie wollte ihm die Waffe abnehmen und laden. Sie hatte gesehen, wie das geht. Das wollte er aber nicht.

„Wenigstens etwas, was ich kann“, sagte er. Er konnte es gut. Und flink.

„Auf was soll ich schießen?“, fragte Rebecca.

„Auf mich zum Beispiel“, sagte Luis.

„Auf deinen Kopf oder auf dein Herz?“

„Hierher“, sagte er. Er griff sich zwischen die Beine.

„Ich ziele auf den Baumstamm dort“, sagte sie.

Sie traf nicht. Auch beim zweiten Mal traf sie nicht. Auch beim dritten Mal nicht.

„Ich habe kein Talent“, sagte sie.

„Willst du mich heiraten?“, fragte Luis. „Ich bin reich. Ich kann vieles bieten. Verreisen, wohin du willst. Mein Vater richtet es. Auch wenn wir noch zu jung sind. Er kann das, das kann er.“

Rebecca sagte wieder nichts.

„So einen wie mich kannst du nicht brauchen. Peinlich für eine wie dich. Wenn ich ein Schlagzeuger wäre, dann. Kannst du singen? Wo du doch alles kannst. Außer schießen.“

Es war ganz still, und traurig sahen die Tannen aus.

Am Abend kam Lino. Er brachte seine Gitarre mit und spielte. Und hatte einen Hut auf dem Kopf. Um das Knie seiner Jeans hatte er ein rotes Tuch gebunden. Er lehnte am Baum und sah lässig aus und spielte. Rebecca stellte sich an seine Seite und summte, und er spielte. Lilafarbene Blumen blühten wie ein Kranz um den Nadelbaum. Am Abend besser sichtbar als am Tag.

Luis lud die Glock nach und richtete sie auf seine Brust. Und dann auf seinen Kopf. Und dann zwischen seine Beine. Verstreute Sterne am Himmel. Schon war es nach Mitternacht.

E N D E

Monika Helfer ist Schriftstellerin und lebt in Hohenems.