Walter Fink

Kommentar

Walter Fink

Freude im Konzerthaus

Kultur / 22.05.2021 • 15:00 Uhr

Wir Vorarlberger waren in den letzten Wochen sehr bevorzugt. Wir konnten ins Theater, in Lesungen, in Konzerte oder Galerien, sogar die Gasthäuser und Cafés öffneten für uns. Einzige Einschränkung: Die Hotels waren auch hierzulande geschlossen, aber sonst lebten wir verglichen mit dem Rest von Mitteleuropa wie Gott in Frankreich. Mit letztem Mittwoch aber haben alle nachgezogen – Öffnungen und viel damit verbundene Freude gibt es landesweit. Und so haben wir uns aufgemacht, um die erste mögliche Nacht seit vielen Monaten in einem Hotel in unserer Bundeshauptstadt zu verbringen – natürlich nach einem inzwischen auch verlängerten Abend bis 22 Uhr in einem wunderbaren Wiener Beisl.

„Kaufmann und Deutsch haben das coronabedingt etwas schüttere Publikum fest im Griff und gaben sich den Liedern hin, die niemanden kaltließen.

Nach Wien aber geht man natürlich nicht nur zum Essen und Trinken, an erster Stelle steht da doch die Kultur. Was da zur Zeit geboten wird, das ist ganz unglaublich, es ist so großartig und vielfältig, dass man unmöglich das ganze Angebot nutzen kann. Es ist, als wäre die Stadt aus langem Schlaf erwacht und wollte nun nachholen, was sie so lange vermissen musste. Diese „Theatromanie der Wiener“ (Stefan Zweig in „Die Welt von gestern“) drängt auf alle Bühnen. Denn nun, endlich, siegt die Kunst über die Pandemie. Und das Schönste: Wir sind mit dabei, mittendrin, bei einem Liederabend des großen Tenors Jonas Kaufmann, am Klavier begleitet von Helmut Deutsch (vielleicht das Beste, das man in solcher Kombination derzeit hören kann) im Konzerthaus. Das Programm: Lieder von Franz Schubert, Robert Schumann und Franz Liszt nach Gedichten von Goethe, Schiller, Heine oder Lenau – viel Feineres kann man nicht bekommen.

Seit mehr als einem Jahr versuche ich seiner in einem Livekonzert habhaft zu werden. Vergebens. München, Verona, Wien – alles abgesagt. Doch nun steht Jonas Kaufmann leibhaftig auf der Bühne, mit unglaublicher Stimme, mit einer Strahlkraft, die ihresgleichen sucht. Dezent – und doch ungeheuer wirksam – unterstützt von Helmut Deutsch, ohne dessen Weltklasse am Klavier selbst der größte Tenor nur halb so wirksam sein kann. Oft ist es ja so, dass man enttäuscht wird, wenn man so lange auf etwas wartet, dass zu hohe Erwartungen entstehen.

Nicht so diesmal, Kaufmann und Deutsch haben das coronabedingt etwas schüttere Publikum fest im Griff und gaben sich den Liedern hin, die niemanden kaltgelassen haben. Es war schlichtweg großartig und der für mich beste Wiedereinstieg ins Konzertleben, der sich vorstellen lässt. Man verzeihe mir die Euphorie – aber ich kann nicht anders.

Walter Fink ist pensionierter Kulturchef des ORF Vorarlberg.