Oratorienvereinigung als Lebensaufgabe

Kultur / 28.05.2021 • 18:27 Uhr
Elgar Polzer wurde mit Talent, Fleiß und Selbstbewusstsein zum Urgestein der Organisten im Land. VN/Paulitsch
Elgar Polzer wurde mit Talent, Fleiß und Selbstbewusstsein zum Urgestein der Organisten im Land. VN/Paulitsch

Nach fast 70 Jahren in St. Gallus ist Polzer einer der dienstältesten Organisten des Landes.

BREGENZ Als junger Mann machte ein Schicksalsschlag seine angepeilte Musiker- und Dirigentenkarriere zunichte. Plötzlich musste er mit einem Bankerjob seine Familie ernähren, die Musik war bloße Freizeitbeschäftigung. Trotzdem wurde Elgar Polzer mit Talent, Fleiß und Selbstbewusstsein zum Urgestein der Organisten und zum Pionier der Oratorienpflege im Land.

 

Wie haben Sie von der Orgelbank aus die Gottesdienste zu Pfingsten erlebt?

POLZER Es war wie eine Befreiung, dass die Gläubigen nach dem Lockdown auch in der Kirche endlich wieder singen durften. Das kam speziell im Lied „Der Geist des Herrn erfüllt das All“ zum Ausdruck, da musste ich kräftig registrieren.

 

Sie spielen seit 1952 regelmäßig die Orgel in St. Gallus – ist Ihnen das noch nie verleidet?

POLZER Nein, lediglich die tägliche Schulmesse und das Frühaufstehen zu den Rorate-Messen im Advent waren erträgliche Opfer. Am Sonntag gibt es nur noch eine Messe um 9.30 Uhr. Man ist in dieser Position auch nach so vielen Jahren mitverantwortlich für die Pflege des Volksgesanges als Kulturgut.

 

Haben Sie einmal ausgerechnet, wie viele Gottesdienste Sie in dieser Zeit gespielt haben?

POLZER Eine schwierige Frage. Nach meiner Schätzung sind es sicher mehr als 10.000 Termine bei Messen und Andachten, an allen Sonn- und Feiertagen und teils an Werktagen. Aber das gehört mittlerweile längst zu meinem gewohnten Lebensrhythmus, ich möchte es nicht missen.

 

Was ist es, was Ihr Interesse an diesem Instrument so lange wachgehalten hat?

POLZER Als Organist ist man wie der Leiter eines Orchesters, das mit Registern zum Erklingen gebracht wird. Die Gehirntätigkeit wird durch das dreidimensionale Spiel mit Händen und Füßen und das gleichzeitige Erfassen von drei Notenzeilen gefordert. Und es ist immer wieder faszinierend, welche Klangfülle und Farben einem ein solches Instrument bieten kann. Dazu kommt die Tradition unserer Orgel, deren Barockgehäuse original auf den berühmten süddeutschen Orgelbauer Joseph Gabler von 1770 zurückgeht. Das eigentliche moderne Orgelwerk wurde 1974 von der Firma Hradetzky aus Melk erbaut.

 

Haben eigentlich die Kirchenbesucher früher lieber mitgesungen als heute?

POLZER Die Singfreudigkeit hat sich nicht verändert, allerdings ist die Anzahl der Gottesdienstbesucher deutlich geschrumpft. Im Repertoire erhalten hat sich bis heute die „Heilig-Jahr-Messe“ meines Vaters und sein „Mariae Wiegenlied“, das meine Frau Elisabeth, langjährige Sopransolistin auch bei großen Oratorienaufführungen, traditionell am Weihnachtstag singt.

 

Was ist in Ihrer Jugend passiert, was Ihre Profikarriere als Musiker verhindert hat?

POLZER Nach dem Tode meines Vaters 1952 habe ich seine Organistenstelle in St. Gallus übertragen erhalten, ich wurde als Ältester aber auch zum Familienerhalter für meine Mutter und zwei jüngere Geschwister. Unter diesen Umständen war das nach der Matura geplante Musikstudium nicht mehr möglich, ich wurde Bankangestellter.

 

Wie haben Sie sich ausgebildet, um später die von Ihrem Vater gegründete „Vorarlberger Oratorienvereinigung“ zu leiten?

POLZER Zunächst bin ich von meinem Vater musikalisch geprägt worden. Durch meine Tätigkeit als Organist, Leiter diverser Chöre und eine nebenberufliche Ausbildung zum Dirigenten konnte ich ab 1973 die Leitung der Oratorienvereinigung übernehmen.

 

Äußeres Merkmal dieses Chores war die große Anzahl seiner Mitglieder mit über 100 Sängern – ein gewaltiges Projekt und für Sie eine Lebensaufgabe?

POLZER Die Einstudierung großer, anspruchsvoller Chorliteratur mit einem Amateurchor bedeutet für alle Beteiligten eine wesentlich größere Herausforderung als für einen Profichor. Im Rückblick bin ich selbst erstaunt, dass sich der Chor aus ambitionierten Sängern aus dem Unterland sowie aus Deutschland von Friedrichshafen bis ins Allgäu und dem Schweizer Rheintal rekrutierte. Die Gesamtwirkung eines imponierenden, gut geschulten Amateurchors mit einem entsprechend großen Orchester hat klanglich und visuell auf Ausführende und das Konzertpublikum starken Einfluss.

 

Schon damals begann der Trend, solche Werke in einer neuen Ästhetik mit schlankerer Besetzung zu machen. Könnten Sie das heute inhaltlich noch mittragen?

POLZER Der Trend zu kleineren, spezialisierten Spitzenensembles führt selbstverständlich zu höheren und kritischeren musikalischen Ansprüchen. Der aufwendige Probeneinsatz seit Herbst für Aufführungen am Passionssonntag und das weit gestreute Sängerpotenzial wären heute kaum mehr möglich. Mein Interesse an dieser Aufführungspraxis ist gleichgeblieben.

 

Was waren für Sie die Höhepunkte im Repertoire?

POLZER Neben den Haydn-Oratorien „Die Schöpfung“ und „Die Jahreszeiten“ waren es die Requien von Mozart, Brahms, Verdi oder Cherubini. Händels „Messias“ und „Israel in Ägypten“ galten für uns als anspruchsvolle „Musswerke“. Mit Stolz kann die Oratorienvereinigung aber auch auf zehn Erstaufführungen für Vorarlberg hinweisen, darunter die berühmte „Grande messe des morts“ von Hector Berlioz. Als letzte Aufführung nach 36 Jahren dirigierte ich im Jahr 2009 im Festspielhaus die „Carmina Burana“ von Carl Orff.

 

Mit welchem Gefühl steht man als Dirigent beim Konzert vor fast 200 Mitwirkenden?

POLZER Das erfüllt einen natürlich mit einem erhebenden, stolzen Gefühl und auch mit etwas Lampenfieber, das aber nach den ersten musikalischen Hürden bald verfliegt.

Zur Person

ELGAR ODO POLZER

GEBOREN 16. September 1933 in Bregenz

AUSBILDUNG Autodidaktisch bei seinem Vater, Hilde von Kreutziger (Klavier), Siegfried Hildenbrand, Wilhelm Paffendorf und Oswald Lutz (Orgel, Harmonielehre, Kontrapunkt)

TÄTIGKEIT Bankangestellter, seit 1952 Organist in Bregenz-St.Gallus, seit 1973 Leiter der Vorarlberger Oratorienvereinigung, seit 1997 des Kirchenchores St. Gallus und anderer Chöre

EHRUNGEN Ehrengabe des Landes 1985; Verdienstmedaille der Diözese Feldkirch 1988; Professor h. c. 1989; Großes Verdienstzeichen des Landes 2012

FAMILIE verheiratet, vier Kinder