Mit Jazz gegen die Ignoranz unserer Zeit

Mit seinen Solo- und Trioprogrammen wird David Helbock auf Tourneen und bei großen Festivals gefeiert.
KOBLACH „David Helbock ist eine faszinierende Musikerpersönlichkeit von höchster Kreativität, seine Darbietungen überzeugen mit großer Ästhetik und stilistischer Bandbreite.“ So urteilte die Jury von Peter Vogels „Creative Music Award“ kürzlich über den Vorarlberger Vorzeige-Jazzpianisten, der aus diesem Wettbewerb als erster Preisträger hervorging.
Sie haben für die neue CD „The New Cool“ das Stück „Pandemic of Ignorance“ geschrieben. Eine versteckte Anspielung?
HELBOCK Ich finde die Ignoranz, mit der sich mittlerweile viele Menschen begegnen, die zu gewissen Themen eine andere Meinung haben, sehr bedenklich. Corona, Populismus, (a)soziale Medien verstärken das nur noch mehr. Die Mitte und der respektvolle Umgang miteinander gehen immer mehr verloren – ich hoffe, dass wir wieder als Gesellschaft zusammenfinden.
Hat Corona bei Ihnen außer diesem Stück sonst etwas ausgelöst?
HELBOCK Corona hat mein Leben komplett auf den Kopf gestellt. Natürlich jammere ich auf hohem Niveau. So habe ich direkt vor der Pandemie noch eine Konzerttournee in Südafrika gespielt, und da haben sich dann wirkliche Tragödien abgespielt – wenn zum Beispiel Kinder aus armen Familien ihr einziges Essen am Tag in der Schule bekommen und diese dann wegen des Lockdowns schließt. Viele meiner Musikerkolleginnen unterrichten nebenher – ich selber habe viele Jahre alles auf eine Karte gesetzt und nur Konzerte gespielt, und das war dann bei Corona von heute auf morgen alles weg. Ich finde es aber auch wichtig als Zeichen für die jüngere Generation, durchzuhalten und ein Vorbild aufzuzeigen, dass man auch als rein konzertierender Musiker in dieser Gesellschaft irgendwie seinen Weg gehen kann.
Ein Markenzeichen Ihrer Persönlichkeit war stets das Käppi mit den Klaviertasten, das man auf neueren Fotos vermisst. Haben Sie damit nicht einen Teil Ihrer Identität abgelegt?
HELBOCK Meine Zeit vor Corona mit knapp 150 Konzerten jährlich fühlt sich wie ein ganz anderes Leben an, und so fand ich das jetzt richtig, die Mütze langsam wegzulassen. Auf der anderen Seite hatte das Käppi für mich auch immer eine spirituelle Bedeutung, ähnlich zur Tarnkappe in vielen mythologischen Geschichten, die den Träger vor schlechten Einflüssen von außen schützen kann. Ich fühle immer mehr, dass ich diesen Schutz nicht mehr so brauche.
Begonnen haben Sie mit einer klassischen Klavierausbildung – wann ist die Liebe zum Jazz durchgebrochen?
HELBOCK Ich habe immer schon aus der Musik, die mich berührt hat, das rausgezogen, was mich am meisten fasziniert hat und das dann in meiner eigenen Musik verarbeitet. Ob das jetzt Klassik, Jazz, Pop, Filmmusik oder Weltmusik ist, war mir eigentlich egal.
War es auch ein Grund, dass in der Klassik weniger improvisiert wird als im Jazz?
HELBOCK In der Klassik liegt natürlich ein enormer Druck auf den Musikern. Man muss jede Note perfekt und auswendig nachspielen. Das hat mich immer nervös gemacht. Im Jazz aber kann man durch die Improvisation „Fehler“ spontan mit einbauen und dadurch oft etwas ganz Neues und Spezielles schaffen. Das allein genügt, dass ich eigentlich nie mehr nervös bin.
Ihre respektvolle Improvisation über den zweiten Satz aus Beethovens „Siebter“ ist für mich ein starkes Statement.
HELBOCK Die Klassik hat mich nie losgelassen, aber ich habe diese Musik dann eben in meinen eigenen Projekten verarbeitet und verändert. Da war schon vieles dabei – von Beethoven über Mozart bis Schönberg oder wie jetzt auf dem neuen Album etwas Chopin.
An den letzten drei Projekten lässt sich Ihre Neugierde nach Weiterentwicklung ablesen. Wie sehen Sie das selber?
HELBOCK Ich bin schon viele Jahre eigentlich auf allen Kontinenten unterwegs, es gab schon weit über 20 Alben unter meinem Namen. Da ist es nicht einfach, das immer wieder zu bestätigen und sich stets was Neues einfallen zu lassen. Im Trio Random/Control spielen Johannes Bär und Andreas Broger zusammen quasi fast alle Blasinstrumente, die es gibt. Das gibt mir als Komponist fast unendlich viele Möglichkeiten. Bei „Playing John Williams“ mit den Filmmelodien war für mich vor allem das Reduzieren des großen Orchesters aufs Solopiano interessant, das sich Zurückbesinnen an die vielen Emotionen, die diese Filme bei mir damals ausgelöst haben. Für das aktuelle Album „The New Cool“ wollte ich gerne einmal mit Berliner Musikern zusammenarbeiten. Dabei wollte ich einen ruhigen Kontrapunkt zu Random/Control, wo immer sehr viel „Action“ auf der Bühne ist.
Warum sind Musik und Kunst & Kultur gerade auch in Zeiten von Krisen so wichtig?
HELBOCK Ich glaube fest daran, dass Musik und andere Kunstformen direkt mit unserer Seele verbunden sind. In manchen Kulturen nennt man das „Nahrung für die Seele“, es gibt aber auch Mythen, in denen Musik überhaupt der Grund ist, warum wir eine Seele haben. Winston Churchill etwa hat sich geweigert, während des Krieges das Kulturbudget zugunsten der Rüstung zu kürzen: „Dann haben wir nichts mehr, für das es sich zu kämpfen lohnt!“
Zur Person
DAVID HELBOCK
GEBOREN 1984 in Koblach
AUSBILDUNG Seine Klavierlehrer waren Nora Calvo Smith, Paul Winter und Ferenc Bognar am Konservatorium (klassisches Konzertfach-Diplom mit Auszeichnung); Peter Madsen im Jazz
TÄTIGKEIT Internationale Konzerttätigkeit als Jazzpianist und Komponist, über 20 Alben als Solist und mit verschiedenen Besetzungen
AUSZEICHNUNGEN 2006 mit dem HDV-Trio Sieger beim Bewerb „New Generation“; 2007 und 2010 Preisträger beim Jazzpiano-Solobewerb in Montreux; 2011 „Outstanding Artist Award für Musik“ des Kunstministeriums etc.
FAMILIE verheiratet und lebt/pendelt zwischen Wien, Berlin und Vorarlberg