Chagall-Ausstellung: Dichte Information in poetischer Aufmachung

Ausstellung in Lindau bietet eine besondere Begegnung mit Marc Chagall.
Lindau In der Opera Garnier in Paris nimmt man seinen Platz nie zu früh ein. Im neobarocken Repräsentationsbau des 19. Jahrhunderts ist nicht alles auf biederen Prunk ausgelegt, der Blick zur Decke konfrontiert seit einigen Jahrzehnten mit einem Spätwerk von Marc Chagall, mit dem er der Musik und der Dichtung huldigt und in dem sich bei längerer Betrachtung viele Motive ausmachen lassen, die in seinem Gesamtwerk immer wieder aufscheinen. Der finale Entwurf zum Gemälde befindet sich nun einen Sommer lang im Kunstmuseum Lindau. Es ist ein zentrales Exponat unter den über 60 Werken, die die Ausstellungsmacher mit „Paradiesische Gärten“ übertitelt haben. Nicht nur weil sich Marc Chagall (1887-1985) in seiner letzten Lebensphase, nach Jahrzehnten, die mehrfach von Vertreibung, Flucht und für ihn als Jude tödlicher Bedrohung in der Zeit der Nationalsozialisten geprägt waren, in Südfrankreich mit viel Natur umgab, sondern auch weil Lindau heuer eine Gartenschau ausrichtet.

Seine Sommerausstellungen weiß das Kulturamt jeweils gut zu bewerben, Verweise bis hin zum in der entsprechenden Farbe Blau gestalteten Blumenschmuck gibt es überall, und heuer wurde auch wieder der deutsche Kunstprofessor Roland Doschka als Kurator engagiert. Er hatte Lindau vor Jahren eine Picasso-Schau beschert, die sich als Besuchermagnet entpuppte, und die Reihe ebenso erfolgreich mit Klee, Miró, Matisse oder Macke fortgesetzt. Auch Chagall war schon dabei.
Kraft der Liebe
Aufgrund des Umbaus im historischen Haus zum Cavazzen ist der Ausstellungsort nun das zum Museum adaptierte ehemalige Postgebäude. Die Videotafeln und der auf das breite Publikum ausgerichtete Audioguide bieten viel Information, die Lichtgestaltung ist ein Coup, scheinen die Arbeiten doch fast wie Glasfenster zu leuchten. Da vergisst man beinahe, dass der zentrale Zyklus „Daphnis und Chloe“ aus Lithografien besteht, wie sie zum Teil noch auf den Kunstmarkt kommen. Die rund 40 Blätter sind den Abenteuern und dem Heranwachsen der beiden Findelkinder in der Natur nachempfunden, denen sich der griechische Schriftsteller Longos so widmete, dass auch Goethe ins Schwärmen geriet. Für Chagall war es ein Auftragswerk, für das er nicht nur aus den Lichtstimmungen in Südfrankreich schöpfen konnte und Pflanzen hinhaucht, als sei er bedacht darauf, die filigranen Blüten und Blätter bloß nicht zu beschädigen, auch seine Bildzeichen mit ihrer Symbolik scheinen auf. Schwebende Paare, Musizierende, Pferde, Rinder, ein Hahn und auch Zirkusszenen verführen in einen Chagall-Kosmos, der die Kraft der Liebe, die Erotik, die Schönheit der Natur, aber auch Ausgrenzung und Bedrohung zum Ausdruck bringt. Dass er Witebsk, seine Heimatstadt, trotz allem Negativen, das die Revolution nach sich zog, in sich trug, zeigt etwa auch eine interessante Gouache von Sils Maria im Engadin.

Dass im mehr als 20 Werke umfassenden weiteren Teil, die vorwiegend aus Privatbesitz stammen, die Skizze für das erwähnte Deckengemälde ebenso zu sehen ist wie Entwürfe für eine Inszenierung von Mozarts „Zauberflöte“ in New York oder die Blätter „David und Bathseba“ und „Die Flucht“ sowie ein Selbstporträt aus dem Jahr 1969, verleiht der Ausstellung, die dem Thema Paradiessuche gewidmet ist, den Charakter eines poetischen Einblicks in das umfangreiche Gesamtwerk.
Geöffnet im Kunstmuseum Lindau bis 31. Oktober, täglich 10 bis 18 Uhr. Zeitfensterbuchung: kultur-lindau.de