Als Möwe Mocker Leben rettete

Kultur / 14.07.2021 • 21:47 Uhr
Als Möwe Mocker Leben rettete

Arbeiten von Anna Jermolaewa im Magazin 4 konfrontieren mit berührenden Geschichten.

Bregenz Nur um ein Haar entkam die Möve Joe der Einschläferung. Riesige Distanzen zu überwinden, beispielsweise den Pazifik, ist in Zeiten der Pandemie nicht angesagt. Für die Behörden stellte das Tier, das im vergangenen Winter die Flugroute von den USA bis nach Australien zurücklegte, erst einmal eine Gefahr dar. Die erstaunliche Ausdauer der Spezies wurde Jahrzehnte zuvor noch genutzt, um Leben zu retten. Möwe Mocker bezahlte im Ersten Weltkrieg die Übermittlung einer Botschaft in Frankreich mit einem Auge, Möwe Paddy erfüllte eine wichtige Mission am D-Day, der bekanntermaßen die maßgebliche Wende im Zweiten Weltkrieg bedingte. Anna Jermolaewa hat den zu Nutztieren abgerichteten Boten der leider nicht friedliebenden Menschen eine Art Denkmal gesetzt.

Zeichenblockgroß berührt deren Statur wie die kalligraphisch notierte Geschichte im Magazin 4. Die Bespielung und Rückführung des Raumes zum Kunstort zählt zu den herausfordernden Aufgaben von Judith Reichart, die seit einigen Monaten den Kulturservice in der Landeshauptstadt leitet. Die weltumspannenden Geschichten, die hier nun per Videos, Zeichnungen, Malerei, Fotos und Objekten bzw. Konzeptkunst erzählt werden, haben den Charakter einer kleinen, feinen Sommerausstellung mit Arbeiten auf hohem Qualitätslevel, die leicht zugänglich sind.

Erzählkraft

Geradezu legendär sind die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Vorarlberg und Nigeria. Mit der gesamten Textilindustrie hat sich mittlerweile auch die Produktion edler Spitzen verlagert. Einige Hersteller gibt es in Lustenau jedoch noch. Sie produzieren Stoffe für Festlichkeiten, deren Konzept, wie eine Videoinstallation zeigt, auch deren Finanzierung sichert. Eine enorme Distanz hat auch Ivo Zdarsky überwunden, der im selbstgebauten Flugzeug in den 1980er-Jahren die tschechisch-österreichische Grenze überflog und mittlerweile in den USA wohnt, wo er weit abseits urbaner Siedlungsgebiete seine Vorstellung von Freiheit lebt. Angesichts der Überwindung einer besonders weiten Flugroute, nämlich der zum Mars, dokumentiert Anna Jermolaewa in Bildern wie auf Briefmarken den skurrilen Wettlauf der Supermächte, bei dem die Sowjetunion schon in den 1970er-Jahren punktete. Dazu wird der Science-Fiction-Streifen „Aelita“ aus dem Jahr 1924 per Kostümen rekonstruiert, die zudem mit nachgestellten hierarchischen Szenen den performativen Aspekt der Ausstellung erfüllen. Die erwähnten wie weitere Exponate sind Objekte von großer Fülle, besonderer Schönheit und enormer Erzählkraft.

Als Möwe Mocker Leben rettete
„African Lace“ - die Beziehungen zwischen Nigeria und Vorarlberg sind hierzulande ein besonderes Thema.
„African Lace“ – die Beziehungen zwischen Nigeria und Vorarlberg sind hierzulande ein besonderes Thema.
Distanzen überwinden ist das Thema einer Ausstellung, die auch Politisches berührt. VN/HK
Distanzen überwinden ist das Thema einer Ausstellung, die auch Politisches berührt. VN/HK

Zur Person

Anna Jermolaewa

Geboren 1970 in Leningrad

Ausbildung Studium Kunstgeschichte an der Universität Wien, Neue Medien an der Akademie der bildenden Künste in Wien

Laufbahn Professorin für Medienkunst an der Hochschule für Gestaltung in Karlsruhe, für Experimentelles Design an der Universität für Kunst und Design in Linz

Ausstellungen Einzelausstellungen im In- und Ausland (darunter 21er-Haus Wien, Kunstverein Friedrichshafen, Kunsthalle Krems), Teilnahme an Biennalen, darunter in Venedig; Arbeiten in Sammlungen des Stedelijk Museums, des mumok in Wien, Kunsthaus Bregenz etc.

Wohnort Wien

Die Ausstellung wird am 16. Juli (15 bis 20 Uhr) im Magazin 4 in Bregenz (Bergmannstr. 6) eröffnet und ist bis 5. September, Di bis So, 14 bis 18 Uhr, zu sehen.