„Das ist kein Job, sondern eine Berufung“

Der gebürtige Russe spielt mit einer Guarneri del Gesù, eine der wertvollsten Geigen der Welt.
Bregenz Der Geiger Anton Sorokow trat als Solist mit namhaften Orchestern auf und stand schon mit Montserrat Caballé auf der Bühne, bis er 2005 als Erster Konzertmeister der Wiener Symphoniker sesshaft wurde. Nach der Oper „Nero“ trägt er am ersten Geigenpult auch beim 3. Orchesterkonzert am Sonntag die Mitverantwortung für das Gelingen der Aufführung.
Wie wird man Konzertmeister der Wiener Symphoniker – muss man sich da in der Hierarchie zunächst am letzten Geigenpult anstellen?
SOROKOW Nein, man kann sich für diese Stelle bewerben und muss dann ein Probespiel vor einer strengen Jury hinter einem Vorhang absolvieren, das bei mir zwei Tage gedauert hat – einmal solo und einmal mit Orchester. Für mich brachte diese Position ein wunderbares Spektrum aus solistischen Aufgaben und der intensiven Arbeit im Orchester.
Der Konzertmeister ist ja so etwas wie das Bindeglied zwischen dem Dirigenten und den Musikern, die rechte Hand des Dirigenten?
SOROKOW Ja, das ist eine herausfordernde Aufgabe, mit den vielen Programmen, den unterschiedlichen Persönlichkeiten als Dirigenten und im Orchester umzugehen, denn als Konzertmeister ist man da ganz vorne dabei. Ich leite die Gruppe der Ersten Geigen, übernehme auch die Einteilung der Bogenstriche und die Kommunikation mit dem Dirigenten, bin aber auch in der Organisation tätig. Diese Arbeit im Orchester ist für mich eine Berufung, viel mehr als nur ein Job und ein wichtiger Teil meines künstlerischen Lebens. Das gilt auch für die Zusammenarbeit mit unserem neuen Chef Andrés Orozco-Estrada. Wir verstehen uns sehr gut und möchten unsere gemeinsam im Vorjahr geplanten Projekte, die wegen Corona abgesagt wurden, in nächster Zeit wieder neu aufleben lassen.
Die Symphoniker haben zwei Erste Konzertmeister – gibt es da auch eine Art Konkurrenz?
SOROKOW Nein, mit meinem Kollegen Dalibor Karvay, der eben nach seinem Probejahr bestätigt wurde, habe ich ein sehr freundschaftliches Verhältnis. Wir haben gemeinsam in Wien studiert und teilen die Soli unter uns auf, das genieße ich sehr.
Sie hatten als reisender Solist ein bewegtes Leben?
SOROKOW Ja, damals bin ich viel als Solist mit Orchestern aufgetreten für Konzerte und Aufnahmen, die mein Agent vermittelt hat. Besonders erinnere ich mich an einen Auftritt zusammen mit der großen Diva Montserrat Caballé vor 5000 Leuten in einem Stadion in Moskau. Im Lied „Morgen“ von Richard Strauss habe ich die Gesangsmelodie der Sopranistin mit der Violine virtuos umspielt. Es war ein Bombenerfolg und bleibt bis heute hängen.
Sie haben bereits mit vier Jahren durch Ihre Mutter mit der Geige Bekanntschaft gemacht. War damals schon klar, dass das für Sie einmal zum Beruf werden sollte?
SOROKOW Meine beiden Eltern waren Geiger und sie waren dahinter, dass ich viel übe. Aber als Kind hat mich die Geige weniger interessiert. Doch als wir 1991 mit der Familie nach Wien kamen und damit meiner Lehrerin folgten, kam auch für mich mit der Ausbildung die Wende zum Profigeiger.
Jetzt unterrichten Sie selber an der Wiener Musikakademie – wie ist es denn heute generell um den Geigernachwuchs in Österreich bestellt?
SOROKOW Ich habe eine volle Uni-Professur an der Musikakademie und genieße, dass ich hier mit meiner Klasse völlig selbstständig arbeiten kann und nicht wie im Orchester Teil eines großen Kollektivs bin. Es gibt gerade bei den Violinen durchaus sehr vielversprechende, tolle junge Musikerpersönlichkeiten, die derzeit ausgebildet werden. Mir macht es viel Freude, mit der nächsten Generation zu arbeiten, die vielleicht einmal meine Kollegen von morgen sein werden.
Verraten Sie uns das Geheimnis Ihrer wertvollen historischen Geige?
SOROKOW Die Geige wurde von dem Cremoneser Geigenbauer Joseph Guarneri Del Gesù im Jahr 1741 gebaut und zählt zu den wertvollsten Musikinstrumenten der Welt. Es gibt von Guarneri weltweit nur mehr rund 80 Geigen. Diese ist eine Dauer-Leihgabe der Österreichischen Nationalbank an die Wiener Symphoniker. Es sind vor allem die Obertöne, die Resonanzen, die das Besondere dieser Geige ausmachen, die ich etwa auf Reisen nie aus den Augen lasse und die inzwischen ein Teil meiner selbst geworden ist.
Was bedeutet für Sie der jährliche Aufenthalt mit den Symphonikern in Bregenz?
SOROKOW Ich genieße hier die persönlichen Beziehungen zu Menschen, die längst zu Freunden geworden sind, und auch die wunderbare Natur. Bregenz ist längst unser zweites Zuhause geworden. Die Arbeit bei den Festspielen ist für uns alle schon sehr intensiv und fordernd, aber auch erfüllend.
Im 3. Orchesterkonzert arbeiten Sie mit Omer Meir Wellber, einem für Bregenz neuen Dirigenten, zusammen. Ist die Anspannung da besonders groß?
SOROKOW Ich bin gespannt, weil wir mit ihm in Wien, wo er Chefdirigent der Volksoper ist, ein anderes Repertoire gemacht haben. Ich habe ihn als sehr kompetent, sehr nett in Erinnerung, und das wird sicher wunderbar, auch die „Sechste“ Bruckner.
Zur Person
ANTON SOROKOW
Geboren 1978 in Moskau, lebt in Wien
Ausbildung Moskauer Zentralmusikschule, ab 1991 Wiener Musik-Universität
Tätigkeit Auftritte als Mitglied zahlreicher Orchester wie Berliner Symphoniker, Philharmonia Orchestra London und Moskauer Symphonieorchester; solistische Auftritte unter den Dirigenten Mstislav Rostropovich, Fabio Luisi, Myung Whun Chung, Ulf Schirmer; seit 2005 Erster Konzertmeister der Wiener Symphoniker, seit 2011 Professor an der Wiener Musikuniversität
Familie verheiratet mit Teodora, einer bulgarischen Geigerin
3. Orchesterkonzert der Wiener Symphoniker, 8. August, 11.00 Uhr, Festspielhaus – Dirigent Omer Meir Wellber, Konzertmeister: Anton Sorokow (Ives, Strauss, Bruckner)