“Ich kann alles auf den Kater schieben”: Michael Köhlmeier zu seinem Roman “Matou”

In „Matou“ lässt Michael Köhlmeier einen Kater die Zeit von der Französischen Revolution bis heute erleben. Auch der Komik wegen, meint er im Gespräch.
Schwarzach Matou hätte nach den Fähigkeiten, mit denen Michael Köhlmeier die Hauptfigur seines neuen Romans ausstattet, das Werk in weniger als einer Stunde erfasst. Matou ist, wie Frankophile unschwer erkennen, ein Kater. Fuchsrot, mit weißer Schwanzspitze und das Fell kontrastierenden Pfoten durchlebt er die Zeit von der Französischen Revolution bis zur Gegenwart. Wie das? Katzen haben nach unserem Sprachgebrauch sieben Leben, meint der Schriftsteller. Sein Matou beendet immer wieder das Erdendasein, taucht nach einer Phase im „Weggemachten“, wie der Autor das Jenseits nennt, aber immer wieder auf, und zwar an dem Ort, den er sich wünscht und zu der Zeit, die er wählt. Praktisch, möchte man meinen und kommt im Gespräch mit dem Autor gleich auf wesentliche Punkte. „Ich wollte etwas schreiben, worüber man auch lachen kann, das Distanz herstellt, deshalb ist es die verhängnisvolle Geschichte seit der Französischen Revolution aus der Sicht einer Katze.“ Ein alter Stich, auf dem blutleckende Katzen und Hunde unter der Guillotine zu sehen sind, gab den Anstoß, im Grunde war die Aufklärung, „die so entscheidend ist für unser Selbstverständnis“ ausschlaggebend für das Zeitgerüst. Die Tatsache, dass Matou, der einem als Leser im Übrigen schon auf den ersten hundert Seiten ans Herz wächst, sechs Mal aus dem Jenseits zurückkehrt, verlangt allerdings auch bei Berücksichtigung der abenteuerlichsten Möglichkeiten, die Tiergeschichten bieten, die Frage nach den gedanklichen Bezügen zu so einer Wiedergeburt. „Ich lebe unglaublich gerne“, sagt Köhlmeier. „Da bin ich ganz kindlich, die Frage verträgt keine Theorie, ,Alle Lust will Ewigkeit‘, hat schon Konrad Paul Liessmann eines seiner Bücher betitelt.“
Perspektivenwechsel
Die Fantasie bietet uns Möglichkeiten, wirft man ein. „Ja, der Konjunktiv ist die größte Erfindung der Menschen“, bekräftigt der Autor. Er ermöglicht auch diesen Perspektivenwechsel. Bei Camille Desmoulins in Paris des Jahres 1794 lernt das Tier sprechen, es hat Umgang mit den Vordenkern der Revolution und den Mördern, die sie hervorbringt. Die „wichtigsten Kulturtechniken“, also das Lesen und Schreiben, lernt Matou bei E.T.A. Hoffmann, bei dem – Köhlmeier lässt es keineswegs außer Acht – jener Kater Murr auftaucht, dessen „Lebens-Ansichten“ unweigerlich in Verbindung mit dem Dichter und Komponisten gebracht werden. Auf der Insel Hydra war Köhlmeier einmal in den Ferien mit seiner Frau Monika Helfer. Dort errichtet Matou eine Katzendiktatur, mit den Schriften von Machiavelli oder Demagogen ist er schließlich schon in Berührung gekommen. So wie alles, saugt er die Texte in Minuten auf. „Man muss sich dieses Katzenhirn wie eine komische Parallele zum Computer vorstellen.“ Einmal ist er dann ein Leopard im Kongo, wird zum märchenhaften Retter eines geschundenen Mädchens, das für die Grausamkeiten steht, die die Kolonialisten (in diesem Fall die Belgier mit ihrem damaligen Königshaus) anrichteten. So etwas Gigantisches wie dieser Vernichtungswille sei mit Märchenhaft-Mythischem eher darzustellen, denn als Realität sei es ohnehin kaum zu fassen. „König Leopold kann sich neben Hitler und Pol Pot stellen.“
Vor dem Ersten Weltkrieg lebt Matou in Prag. „Das Kapitel liegt mir am Herzen.“ Kafkas Rotpeter aus „Ein Bericht an eine Akademie“ tritt auf. In Passagen zur Mensch- und Tierwerdung wird das Thema Selbstmord gespiegelt. Als „europäischen Selbstmord“ bezeichnet Köhlmeier den Ersten Weltkrieg, den Zweiten lässt er im Grunde aus. „Jeder Leser kann das ergänzen, auch Historiker sehen den Ersten und Zweiten Weltkrieg wie einen Dreißigjährigen Krieg im zwanzigsten Jahrhundert mit einer kleinen Pause dazwischen.“ Die tierische Perspektive ermöglicht auch einen anderen Zugang zu moralischen Aspekten, Matou wertet nicht. Köhlmeier: „Die Notwendigkeit von Moral wird einem sowieso bewusst, wenn man amoralisches Verhalten sieht.“ Eine wirklich tragische Angelegenheit werde mit der Distanz, die die Komik herstellt, besser sichtbar.
Rotzfrech
Matou wünscht sich von seinen wechselnden Herrchen das Herbeischaffen von Lektüre, was lange Literaturlisten ergibt, die Köhlmeier immer wieder anführt. Es sind vor allem sprachwissenschaftliche und philosophische Werke. „Das kann man mir als Angeberei auslegen. Aber überlegen Sie einmal, er kommt drauf, dass er die Menschen ohne die Bücher nicht begreifen kann.“ Ein literarischer Kanon von Michael Köhlmeier lässt sich daraus somit nicht ableiten. Dass Köhlmeier (geb. 1949) selbst Sprachwissenschaften studiert hat, ist bekannt. Über Charme, den Wunsch des Menschen, respektiert und geliebt zu werden, macht sich Matou immer wieder Gedanken, auch über Charisma, die „fragwürdige“ Eigenschaft. Nicht altklug, aber vorlaut und rotzfrech gebärdet er sich. Köhlmeier dazu: „Ich kann alles auf den Kater schieben.“
“Matou” von Michael Köhlmeier ist ab 23. August im Buchhandel, Lesung am 16. September im Wiener Burgtheater, am 29. September im Theater Kosmos in Bregenz.