So klingt echte Risikobereitschaft

Manfred Honeck und das Gustav Mahler Jugendorchester wurden in Salzburg bejubelt.
SALZBURg Risikobereitschaft ist dann ausschließlich positiv zu beurteilen, wenn sie auf hoher Professionalität basiert und wenn die Könnerschaft derart ausgeprägt ist, dass man sich auf seine Intuition absolut verlassen hat. Beim Auftritt von Manfred Honeck mit dem Gustav Mahler Jugendorchester in Salzburg standen diese Faktoren fest. Der gefragte Dirigent aus Vorarlberg, seit Jahren Chef des Pittsburgh Symphony Orchestra und bei den Salzburger Festspielen heuer Juryvorsitzender beim YCA Award, einem international renommierten Dirigierwettbewerb, den der Brite Joel Sandelson gewann, leitete nun die Aufführung von Werken von Richard Wagner und Ludwig van Beethoven.
Die Bühnen der Stadt sind ihm bekannt, Honeck ist bei den Salzburger Festspielen seit Jahren engagiert, er dirigierte Opern, Mozart-Matineen und Konzerte der Gastorchester. Auch im letzten Jahr gab es im gekürzten Festivalprogramm einen denkwürdigen Vormittag mit den Metamorphosen für 23 Solostreicher von Richard Strauss und dem Cantus in Memory of Benjamin Britten von Arvo Pärt. Honecks Affinität für das Ausloten des Pianissimo fern jeglicher Attitüde ist spätestens seither ein Begriff.
Die Ohren spitzen
Die Felsenreitschule, dieser riesiger Raum unter den steinernen Logenreihen, unter denen das Jugendorchester – zweifellos eines der weltbesten Ensembles dieser Art – fast etwas verloren wirkt, bietet eine spezielle Herausforderung. Muss man halt die Ohren spitzen, lautete die Devise. Es lohnte sich, das „Siegfried Idyll“ ließ das Gras wachsen hören. Der flapsige Ausdruck sei erlaubt, Honeck ist kein Maestro, der Erhabenheit manieriert zelebriert, das Konzentration fordernde und fördernde Innehalten per zarter Geste kontrastiert das Laute der Außenwelt und reklamiert Wahrhaftigkeit. Der letzte Satz des 1870 uraufgeführten Werks für Kammerorchester, ursprünglich ein morgendliches Geburtstagsständchen für Cosima Wagner, soll nicht mehr bewegt oder lebhaft wie die Vorgänger, sondern „bedeutend langsamer“ gespielt werden. Honeck nimmt das sehr ernst, lässt die letzten Töne aushauchen. Jede noch so kleine Unsicherheit würde man hören, das Gustav Mahler Jugendorchester darf sich in seinen Händen sicher fühlen und bringt dies zum Ausdruck.
Bei den Wesendonck-Liedern (in der Fassung von Hans Werner Henze nicht mehr für Frauenstimme, sondern für Bariton und Kammerorchester) wird diese Möglichkeit auf die Spitze getrieben. Matthias Goerne trägt die viel Kraft fordernde Interpretation in der Diktion leise und langsam bis in die kleinste Faser mit. Die späteren Opern, vor allem „Tristan und Isolde“, schillern durch, das Orchester wirkt hellwach und Goerne beim letzten Ton so frisch wie beim ersten.
Ein Ereignis
Das Ereignis, das das Publikum dann von den Sitzen reißt, kommt noch. Beethovens 7. Symphonie (beim Lech Classic Festival waren jüngst die einst dazugehörenden Schlachtengemälde zu hören) ist derart kontrastreich, dass sie die Orchestercharakteristik sofort offenbart und vor allem die Qualität der Bläserbesetzung dokumentiert. Die Voraussetzungen sind bei diesem Jugendorchester gegeben, aber freilich braucht es den Dirigenten, der das Tänzerische und das Polternde auslotet. Der zweite Satz ist der entscheidende, das rasch eintönig wirkende Grundthema bringt Honeck extrem zart zum Erblühen. Im Finalsatz soll sich „con brio“ Jubel entladen. Präzision und Spirit werden spürbar, das Publikum jubelt mit – zum Teil dankbar und begeisternd stehend.

Die Salzburger Festspiele dauern noch bis 31. August. Nächstes Gastorchester: Kirill Petrenko mit den Berliner Philharmonikern.