Die Vollendung in Schuberts Klaviermusik

Der Tessiner Francesco Piemontesi erwies sich erneut als feinsinniger Interpret.
SCHWARZENBERG So kann man’s auch machen: Während Igor Levit als derzeit führender Pianist seiner Generation 2016 einen Zyklus aller 32 Beethoven-Klaviersonaten in acht Konzerten innerhalb einer Schubertiade-Saison ablieferte, nimmt sich sein Tessiner Kollege Francesco Piemontesi für seinen sechsteiligen Schubert-Zyklus mit Sonaten und weiteren Stücken ungleich mehr Zeit. So war denn sein Klavierabend am Samstag im ausverkauften Angelika-Kauffmann-Saal auch erst der dritte in dieser Reihe, die er 2018 begonnen und 2019 fortgesetzt hat. Das heißt, der 38-Jährige bereitet sich penibel auf jedes seiner Programme vor und macht sie mit besonderer Sorgfalt und Qualitätsbewusstsein zu Kostbarkeiten.
Piemontesi ist schon länger als feinsinniger Schubert-Interpret aufgefallen. Sein ungeschminkt ehrlicher, unverfälschter Zugang, seine exzellente Anschlagskultur und die sorgsame emotionale Gewichtung dieser Musik beeindrucken ebenso wie seine vielstufige Dynamik, die sich nicht in stereotypem Hell-Dunkel erschöpft. Seinen Zyklus hat er nicht chronologisch angelegt, sondern in bewusster stilistischer Gegenüberstellung nach Werkgruppen oder Tonarten-Verwandtschaften geordnet. Auch diesmal liegen die drei ausgewählten Werke zeitlich zwar weit auseinander, erhalten aber durch die Verwandtschaft ihrer Tonarten einen inneren Zusammenhang. Im letzten Moment tauscht er die ersten beiden Sonaten noch untereinander aus, so ergibt sich aus dem zweiten Satz der C-Dur-Sonate im parallelen a-Moll eine direkte Verbindung zum dreisätzigen Werk D 784 in dieser Tonart.
Das Warten hat sich gelohnt
Das früheste Werk von 1823 ist die letzte seiner Sonaten, bei der entfernt noch der Geist der Wiener Klassik spürbar ist. Haydn und Mozart sind nicht die schlechtesten Vorbilder, aber Schubert ist unablässig auf der Suche nach dem eigenen Ausdruck. Diesen hat er in der Sonate von 1825 bereits gefunden, dem ersten seiner großen späten Werke. Doch die von einem Verleger „Reliquie“ genannte, seltsam verschrobene und selten aufgeführte Sonate blieb nach zwei Sätzen unvollendet, so wie seine Symphonie Nr. 7 als Zeichen des Unsteten.
Die Sonate c-Moll von 1828 dagegen wird als eines seiner wichtigsten und reifsten Stücke auch zum Meisterwerk des Abends. Es ist die erste aus dem Vermächtnis von Schuberts letzten drei Sonaten, die auch generell zum „harten Kern“ der Klavierliteratur zählen. Und genau an diesen extremsten gestalterischen und technischen Anforderungen entzündet Piemontesi risikoreich ein Feuerwerk seiner atemberaubenden pianistischen Fähigkeiten, betont ohne zu übertreiben die aufwühlenden dramatischen Stellen, die schroffe Harmonik des Werkes. Der von einem Schweizer Fachmann stets prächtig intonierte Steinway hält auch diesem Kraftakt mit silbrig-sattem Klang glänzend stand. Beeindruckend ebenso Piemontesis wunderbares Legatospiel, mit dem er Schuberts melodiöse Eingebungen im Adagio am Flügel nachsingt und das scheinbare Stocken der Einfälle in den überlangen Pausen des Menuetts. Eine in sich ruhende, abgerundete, schlicht vollendete Schubert-Interpretation. Das Warten hat sich gelohnt. Fritz Jurmann
Der letzte Teil der Schubertiade 2021 findet vom 30. September bis 5. Oktober im Markus-Sittikus-Saal Hohenems statt.