Von einem, der Wort gehalten hat

Kirill Petrenko vollendet mit der Neunten seinen Mahler-Zyklus beim SOV.
BREGENZ Wenn heute der imaginäre Vorhang im Mahler-Zyklus des Symphonieorchesters Vorarlberg mit Kirill Petrenko (49) aufgehen wird, dann bedeutet dies das glückliche Ende eines Projektes, das in bald 40 Jahren SOV Geschichte geschrieben hat wie sonst nichts. Es hat als künstlerisches Highlight, als interpretatorischer Markstein im Kulturbereich weit über unsere Grenzen hinaus für Aufsehen gesorgt. Weil niemand es für möglich gehalten hat, dass der mittlerweile zum internationalen Pultstar avancierte Petrenko sein einmal gegebenes Wort halten und auch angesichts seines immer dichter werdenden Terminkalenders und zuletzt extremer Probleme mit Corona diesen Zyklus mit „seinem“ SOV unbeirrt zu Ende führen würde. Darin liegt die eigentliche Sensation von „Mahler 9×9“.
Beginn mit Löbl
Michael Löbl, heute Geschäftsführer der Götzner Kulturbühne AmBach, den viele für den „Erfinder“ dieses Zyklus halten, erinnert sich an jenen denkwürdigen Sonntagnachmittag, an dem ihn als Geschäftsführer des SOV ein Anruf von Petrenko aus Berlin erreichte: „Er höre sich gerade die Aufnahme eines Festspielkonzertes von 2006 mit dem SOV unter seiner Leitung und der 4. Symphonie von Franz Schmidt an, dessen Klangsprache der von Gustav Mahler sehr ähnlich ist. Die Aufnahme hat ihm anscheinend so gut gefallen, dass er mich fragte, ob wir uns einen Mahler-Zyklus mit ihm vorstellen könnten. Die Idee kam also zu 100 Prozent von Kirill!“
Natürlich stieß dieser Vorschlag beim SOV auf Begeisterung. Löbl hat die Verhandlungen mit Petrenko geführt, der damals noch freischaffend an mittleren Konzert- und Opernhäusern tätig war, nicht ohne zuvor die Zustimmung des damaligen Chefdirigenten Gérard Korsten eingeholt zu haben: „Das muss man ihm hoch anrechnen“. Bei Mahler unter Petrenko rissen sich auch die Musiker von Anfang an förmlich darum, dabei sein zu dürfen. Unbestritten war stets die Position des Konzertmeisters, die auf Wunsch des Dirigenten bis heute mit Hans-Peter Hofmann besetzt ist. Für Michael Löbl waren in seiner Zeit die Symphonien Nr. 1 bis 4 von 2008 bis 2012 absolute Sternstunden, musikalisch, orchestertechnisch und von der Außenwirkung. „Gleich bei der Ersten kam etwa ein Kritiker der NZZ, das gab es bei uns vorher noch nie. Fairerweise sollte man aber nicht vergessen, dass es schon vor Petrenko auch großartige Aufführungen der ersten fünf Mahler-Symphonien unter dem früheren SOV-Chefdirigenten Christoph Eberle gegeben hat.“
Heißbauer und die Achte
Eine kleine Krise in dieser Zusammenarbeit bahnte sich 2013 an, als Michael Löbl nach über 20 Jahren seine Tätigkeit als SOV-Geschäftsführer an den aus Oberösterreich stammenden Musiker und Kulturmanager Thomas Heißbauer abtrat. Damit war Petrenko praktisch seine Vertrauensperson abhandengekommen. Außerdem standen für ihn mit einem „Ring“-Dirigat in Bayreuth und als künftiger Generalmusikdirektor der Bayerischen Staatsoper München die nächsten Karriereschritte bevor. Heißbauer: „Eine meiner ersten Tätigkeiten für das SOV war deshalb die Reise nach München zu Kirill, um ihn davon zu überzeugen, wie viel uns weiter an dem Zyklus mit ihm liegt. Zu meiner großen Freude hat er sein Versprechen für die komplette Reihe erneuert, wenn nur auch die Achte dabei sein werde.“
Heißbauer: „Ich hatte das Glück, dass ich neben der Fünften mit dem berühmten Adagietto mit der 6. und 7. Symphonie auch die vielleicht am wenigsten bekannten Werke dieses Zyklus produzieren durfte. Durch Kirills intensive Probenarbeit, die ich mitverfolgte, habe ich einen tollen Zugang zu diesen Kompositionen gefunden.“ Und dann stand die wegen ihres enormen Aufwandes mit 300 Mitwirkenden von Veranstaltern gefürchtete Achte an, die Heißbauer wegen der langen Vorlaufzeiten noch im Detail planen musste, auch wenn er zum Zeitpunkt der Aufführung im Mai 2019 bereits seine neue Tätigkeit als künstlerischer Leiter der Salzburger Kulturvereinigung angetreten hatte.
Hazod und das Virus
Die Mammutaufgabe, diese Vorbereitungen in der Durchführung der „Symphonie der Tausend“ zu einem sensationellen Erfolg umzumünzen, fiel dem mit Herbst 2018 als Heißbauers Nachfolger beim SOV angetretenen Orchestermanager Sebastian Hazod zu, ebenfalls ein Oberösterreicher. Petrenko formte dieses Werk zu einem unglaublich differenzierten Klangereignis, wenige Monate danach wurde er viel beachtet zum Chefdirigenten der Berliner Philharmoniker berufen. In der bisher kürzesten Amtszeit als Geschäftsführer hatte Hazod durch die Coronakrise im Vorjahr auch die größten Probleme zu bewältigen. So mussten infolge rigoroser Einschränkungen durch die Landesregierung, die die Maßnahmen im übrigen Österreich noch übertrafen, zwei bereits verkaufte Aufführungen mit Mahlers Neunter kurzfristig abgesagt werden. Hazod: „Das war für mich nicht nachvollziehbar, wie man mit uns umgegangen ist.“ Dennoch bewahrte er bei allen Troubles im engen Kontakt mit dem Dirigenten professionelle Coolness. Eine weitere Zusammenarbeit des SOV mit Petrenko über den Mahler-Zyklus hinaus erscheint laut Hazod durchaus möglich.
Neben der Bewältigung organisatorischer Aufgaben ist auch die künstlerische Bilanz imposant, mit welchem Qualitätsanspruch, welcher Detailfreude und glühenden Leidenschaft es Petrenko mit seinem Orchester als Werkzeug gelungen ist, diese spätromantischen symphonischen Monolithen im Sinne ihres Erfinders bekenntnishaft zu deuten, erlebbar zu machen.
Michael Löbl: „Petrenkos Probentechnik ist ebenso simpel wie genial. Jede Sekunde wird sinnvoll genutzt, und er hat bis zum Konzert alles technisch und musikalisch Mögliche aus dem Orchester herausgeholt. Das klingt einfach, seltsamerweise können das aber nur ganz wenige Dirigenten.“
Thomas Heißbauer: „Bei Kirill geht es immer um die Musik. Er ist keiner, der heiße Luft redet. Das spüren die Musiker und auch das Publikum sofort, wenn da jemand ist, der extrem gut vorbereitet ist und weiß, was er will.“
Sebastian Hazod: „Petrenko ist wohl einer der genauesten und akribischsten Musiker unserer Zeit. Dies und sein Charisma sind Teil seines Erfolges, ebenso sein Zauber, die Leistung der Musiker im Konzert noch weit über das Geprobte hinauszuheben.“
